Ausprobiert: Socialmatch
Wie das jetzt für Außenstehende aussieht, was wir grade machen, will ich eigentlich lieber gar nicht wissen. Fünf Menschen stehen um einen Tisch herum. Auf dem Tisch befindet sich eine Art Spielteppich, der ein bisschen an Monopoly erinnert. Die fünf Menschen stehen alle auf dem linken Bein. Wacklig. Lachend. Sichtlich bester Laune. Sie sind Teilnehmer einer Veranstaltung namens „Socialmatch“. Die trägt den Untertitel „Spielend neue Leute kennenlernen“. Und genau das tun wir.
Spielen, uns kennenlernen und, so die Intention der Erfinder, bestenfalls Kontakte mit Bestand knüpfen. „Mein Kumpel Patrick Kuhlmann war Ende 2014 frisch nach Berlin gezogen“, erzählt Valentin, Pädagoge, Kulturwissenschaftler, aus beruflichen Gründen lieber ohne Nachnamen und derjenige, der gemeinsam mit vorgenanntem Kumpel das „Socialmatch“ ins Leben gerufen hat. Der Patrick, der kannte kaum jemanden, Silvester sollte aber doch gefeiert werden, und dann kamen die Gäste auf die Idee, Gesellschaftsspiele aus dem Regal zu holen. „Tabu“ gab’s, „Wer bin ich?“, und am Ende die Erkenntnis, „dass das Kennenlernen durch die Spiele total leicht ging.“ Dass das also etwas sein könnte, was heutzutage funktionieren könnte, dachten sich Valentin und Patrick, wo doch heutzutage größtmögliche Mobilität und Flexibilität gefordert ist von allen, wo Usus ist, die Heimatstadt zu verlassen zum Studieren, dann wieder Umzug zum Arbeiten, und wenn der Chef sagt „Spring!“, dann springt man eben weiter.
So ging es auch Valentin, als er nach Nürnberg zurückkam nach dem Studium, niemanden mehr kannte und feststellen musste, „dass es in unserem Alter gar nicht so leicht ist, Kontakte zu knüpfen, wenn man nicht rein auf Dating aus ist“, berichtet der 28-Jährige. Ein bisschen so ähnlich geht es Marc (34), der war elf Jahre weg aus Nürnberg und ist jetzt wieder da und alles ist anders. So ähnlich geht es Wolfgang (35), der zum Arbeiten hierher gekommen ist und nur die Arbeitskollegen kennt bislang. Bei Sarah ist es andersrum, sagt sie, ihre Freunde sind weggezogen oder haben Kinder bekommen, das dünnt auch aus. So ganz anders geht es Vandetta (34), die hat eigentlich, sagt sie, genug Freunde, aber immer Lust auf was Neues, und da wollte sie das mal ausprobieren mit diesem „Socialmatch“. So geht’s mir auch. Erwartungen? Keine. Und um das Ergebnis vorwegzunehmen: Spaß? Großer!
Was im Sinne des Erfinders sein dürfte, findet Dr. Matthias Klemm, Soziologe an der FAU Erlangen mit Fachbereich Kultur und Kommunikation. „Im Gegensatz zur Verbindlichkeit eines Zweiertreffens, wie das bei den meisten Dating-Apps beispielsweise Usus ist, besteht hier die Möglichkeit, sich unverbindlich kennenzulernen, ohne besonders hohe Erwartungen an die anderen Teilnehmer aufgebaut haben zu können. Das steigert die Bereitschaft und entspannt beim Spiel.“ Tatsächlich ist die Stimmung von Anfang an locker, findet die Gruppe schnell zusammen, hat ja aber auch einen gemeinsamen Nenner: dieses Spiel, das Valentin und Patrick ersonnen haben, eine Mischung aus verschiedensten Spielen, die man so kennt, „da haben wir uns einfach jeweils das Beste rausgepickt“, verrät er gut gelaunt, mit eigenen Ideen gefüttert, fertig. Wir bekommen alle eine Figur, wir würfeln reihum, und je nachdem, auf welchem Feld wir landen, machen wir Dinge. Alleine, in Teams oder die ganze Gruppe, Valentin hat viele Stapel vor sich liegen, ist der Spielleiter, der uns lenkt und leitet und Gespräche, die sich entwickeln, laufen lässt, und wenn’s mal stolpert, eingreift. Das ist super. Es stolpert eigentlich nie.
Weil wir dauernd beschäftigt sind. Sekundär damit, die erforderliche Punktzahl zum (symbolischen) Sieg zu erreichen. Primär damit, Wissensfragen zu beantworten, uns gegenseitig einzuschätzen, was unter Umständen heikel anmutet wie beim „Von welchem Teilnehmer glaubt ihr, dass er sich selbst am attraktivsten findet?“ und dann schreiben wir verdeckt Zettel und Valentin verkündet das Ergebnis, „aber“, sagt er, „es geht doch darum, sich gegenseitig möglichst schnell kennenzulernen und deswegen auch darum, mögliche falsche Bilder schnell revidieren zu können.“ Und aus allem wächst ein Gesprächsthema. Aus dem hernach, wenn man sich vielleicht nochmal trifft, schon wieder der nächste Anknüpfungspunkt erwächst, man hat ja schließlich schon was erlebt zusammen. Sich auf den Schoß einer Fremden setzen müssen, wie ich für eine ganze Runde, wie den Ellenbogen eines Fremden anhimmeln wie Sarah den von Marc. Wie einem fremden Gast ein Kompliment machen wie Vandetta. Wie keine Lust haben, sich von einem Fremden am Bein berühren zu lassen wie Wolfgang von Marc, das möchte er nicht.
Das ist ok. Alles kann, nichts muss, zu sehen, wessen Grenzen wie gesteckt sind, ist ja auch schon irre persönlich. Wir werden alle immer lustiger, offener, mutiger, entspannter. Für Langeweile ist gar keine Zeit. Klar könnten wir tindern, klar könnten wir „vorselektieren per digitaler Interessensgruppen“, wie Dr. Matthias Klemm das nennt. Will hier aber offenkundig niemand. „Das reine Kennenlernen online verzerrt die wirkliche Person“, findet Valentin. Eine „rück-zu-Bewegung“ sieht der Soziologe im nach Senkrechtstart aussehenden Erfolg von „Socialmatch“ nicht, sondern eine „Intensivierung der Verschränkung der digitalen und gegenständlichen Welt.“ Später wird halt doch gewhatsappt, sich in einer Facebook-Gruppe organisiert. Vielleicht, wenn man mag. 120 Teilnehmer hatten bis Anfang Mai das mittlerweile in neun Städten und je drei Alterskategorien von 20 bis 55 angebotene Event genutzt.
Anmelden, 20 Euro Teilnahmegebühr bezahlen, zu Datum und Uhrzeit noch die Kneipe genannt bekommen. Loslegen. Bis zu zehn Teilnehmer pro Abend können mitmachen, das Verhältnis Männlein-Weiblein reguliert das Buchungssystem von alleine. Mitmachen, sagt Valentin, kann jeder. Singles oder Paare, Menschen, die einsam sind oder solche, die „einfach nur Abwechslung und Spaß haben wollen für rund drei Stunden.“ Wir machen vier draus. Wegen Riesenspaß. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf den Sieg. Das ich, pardon, gewinne. Ätsch! Erst dann lass ich die Hosen runter, hallo also, es ist so, ich komme von den Nürnberger Nachrichten und wollte mal gucken, was hier so passiert. Niemand ist böse. Der Abend war super. Ich bekomme eine Siegesmelone. Die anderen Handynummern. Ich glaub, ich mach das noch mal.
// Text & Bild: Katharina Wasmeier //