Schreibschwein © David Häuser
Konfetti - Die Kolumne

Konfetti! Und außerdem … Nahtoderfahrung

„Als Nahtoderfahrung […] wird ein breites Spektrum tiefgreifender persönlicher Erfahrungen bis hin zu […] Transzendenzerfahrungen bezeichnet, die von Menschen gemacht werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden haben.“ So steht’s geschrieben im digitalen Brockhaus, und darin hab ich nachgeblättert auf der Suche nach einer Erklärung für meine letzte Woche gemachte Erfahrung. Ich habe die Situation in der Tat „er-fahren“, saß ich doch im Moment der allergrößten Furcht in einer Gondel. Bis zu diesem Punkt ähnelt das NTE (s.o.) demjenigen, das ich einst im schönen Gardaland er-fuhr und mich vermutlich zum meistschreienden, vielleicht auch meistausgelachten Gast der Freizeitpark-Attraktion „Raptor“ gemacht hat: Eine grauenhafte Achterbahn, die sehr viel mit kein Boden unter den Füßen, jähen Kurven und steilem Abfall zu tun hat und in der Menschen mit extraterrestrischer Höhenangst (ich) nichts zu suchen haben. Im Gegensatz zur letztwöchig getanen Fahrt hatte diese jedoch einen großen Vorteil: Sie ging derart rasant vonstatten, dass ich mich an Einzelheiten schon beim Verlassen des Sitzes nicht mehr erinnern konnte. Ganz anders jetzt. „Genießen Sie die Fahrt!“ hörte ich eine ferne Stimme rufen nur Sekunden, nachdem mir eine Sitzfläche in die Kniekehlen geschossen und mein Schicksal besiegelt worden war. Ich schwob von dannen, unter mir die Welt sehr klein, vor mir ein Berg sehr hoch und in mir drin der tönende Nachklang von „30 Minuten Fahrt, Entspannung, Ruhe, Genuss“. „Da rauf“ ist der Kufsteiner Stadtberg, ein winzigkleiner Bruder des Wilden Kaisers, für gehschwache Personen ausgestattet mit einem Sessellift, der in zwei Etappen auf 1272 Meter führt und oben mit Einkehr, Spazierwegen und Postkarten-Panorama lockt. Geblendet von solcherlei Versprechen war für mich das perfekte Ausflugsziel identifiziert, und ich schnürte ein Sackerl und begab mich zum Berg. Wo mich die Aussicht auf Aussicht bei Kaiserwetter derart blendete, dass das Wort „Sessellift“ jede Bedeutung verlor. Was es bedeutet, bemerkte ich erst, als ich meinen Körper verließ und über die Gipfel transzendierte: ein windiger Ein-Personen-Sitz mit einem Strohhalm als Sicherung und einer Stahlseilaufhängung, wo man beim Hinaufblick sagt, da hängt jeder Kleiderbügel in meinem Schrank stabiler. Hinaufgeblickt hab ich viel, denn hinunter ging es 5 bis 50 Meter in die Wälder, und dort baumelte ich, während ich mit 2m/s sanft in den sicheren Tod entgegenschaukelte und mir sicher war, wenn nicht im Absturz, dann im Infarkt zu enden … Ich transzendierte. Schwob auf den Gipfel und dort durch eine Postkarte, spazierte, kehrte ein und wieder aus und schaukelte später ganz und gar außerkörperlich den Berg wieder hinab. Fühle mich seitdem weise und erhellt. Der Raptor soll ruhig kommen!

// Text: Katharina Wasmeier / Foto: David Häuser //

~~ Diese Glosse erscheint unter dem Namen „Runter vom Sofa“ in der Freitagsausgabe der Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung ~~