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Nachbericht: Weinturm Open Air

Das 38. Weinturm Open Air ist vorbei – und das ist irgendwie schade.

Einerseits bin ich glücklich darüber,  nicht mehr in der prallen Sonne bei bis zu 39 Grad stehen zu müssen, um mir die Bands anzuschauen, andererseits werden dieses tiefenentspannte Publikum, die tolle Musik und das ganze Ambiente schon sehr fehlen. Weinturm, das ist jedes Jahr eine kleine Flucht aus der Realität, hin zu Love & Peace und einem Hauch Woodstock.

Der tiefenentspannte Status des Publikums lag vielleicht auch daran, dass es trotz Waldbrand-Warnstufe 5 irgendwie überall nach verbranntem Gras roch …

Musikalisch bot der Freitag einen wilden Mix aus jazzig-souligem Conscious-Rap von Akua Naru, Luftballons und wildem Mitgröhlen beim Konzert der 15 Schweden von I’m from Barcelona und schweißtreibendem Elektro-Swing mit The Correpondents.

Ich wurde von einer Tanzeinlage zur nächsten getrieben und es blieb immer nur die halbstündige Umbaupause zum kurzen Verschnaufen und Erneuern der Flüssigkeitsreserven. Dort, wo Akua Naru zum lässigen Bouncen einlud, trieben I’m from Barcelona mit ihrem flotten Indie-Folk die Gelenke an ihre Grenzen und zauberten breites Grinsen ins Gesicht.

Kurz vor dem Ende der eigenen Leistungsfähigkeit angelangt wurde es noch einmal richtig wild. The Correspondents boten einen wilden Mix aus Swing, 60s Beat, Drum’n’Bass, Hip Hop und Electro, gepaart mit Scatgesang, der Scatman John noch im Grab erröten lässt. Dazu bot Frontman Mr Bruce Tanzeinlagen, die nur damit erklärt werden können, dass er zu mindestens 50 Prozent aus Gummi besteht.

The Correspondents
The Correspondents

War der Freitag noch eine Kombination aus verschiedenen Stilrichtungen, so standen beim Samstag die Gitarren im Vordergrund.

Großartiger Indie-Folk mit Keston Cobbler’s Club, die sich in die Reihe der hervorragenden Folk-Bands des Weinturm Open Airs einreihten und mit einem ausgerufenen Tanzwettbewerb die Leute tatsächlich dazu, brachten Dirty-Dancing-Hebefiguren zu versuchen.

Die fünf Briten kommen übrigens am 30.09. in den Nürnberger MUZ-Club. Ich kann das Konzert nur wärmstens empfehlen.

Keston Cobblers Club
Keston Cobbler’s Club

Eine 18-jährige Bad Windsheimerin, die mit ihrer Stimme alle verzauberte, und Friska Viljor, die es schafften, nach nur zwei Akkorden die Menge bereits zum Tanzen zu bringen, waren die weiteren Highlights des Tages.

Friska Viljor
Friska Viljor

Für Samstagabend war eine Überraschung auf der Kleinturmbühne angekündigt und ich wirklich gespannt, was da auf uns zukommen sollte.  Mein Tipp wäre gewesen, dass Tiere streicheln Menschen vielleicht den im letzten Jahr an der Technik gescheiterten Auftritt nachholen. Was aber tatsächlich kam, war ganz anders und wunderschön.  Die 18-jährige Annemarie Bruckert aus Bad Windsheim begleitete sich selbst auf der Gitarre und zog das Publikum sowohl mit eigenen Song als auch mit Coverversionen in ihren Bann. Vor allem ihr Cover von Zaz‘ „Je veux“ und die abschließende Variante von „Lucy in the sky with diamonds“ werden noch eine ganze Weile im Kopf bleiben. Liebes Weinturm, diese Überraschung ist euch echt gelungen!

Die alltägliche Suche nach Schatten sollte auch am Sonntag weiter anhalten, weshalb der erste Stopp des Tages  der von der Nürnberger Slam-Allzweckwaffe Michl Jakob moderierte Poetry Slam war.  Als dann die Körpertemperatur den Außentemperaturen angeglichen war klangen schon erste Blechblasinstrumentenklänge von der Hauptbühne herüber. Jetzt aber flotti karotti, Monobo Son fangen nämlich an.

Der regelmäßige Weinturm Open Air Gänger hörte schon viel von diesen magischen Momenten, die es nur auf dem Weinturm gibt. Als zum Beispiel Wallis Bird das Publikum zu Tränen rührte oder der kleine norwegische Lockenkopf Moddi es schaffte, dass sich alle hinsetzten und einfach nur lauschten. Monobo Son, die Band um den Labrassbanda-Posaunisten Manuel Winbeck erzeugte den diesjährigen magischen Moment. Nachdem die Band durch ihre Kombination aus Blasmusik, Jazz, Balkan-Beats und Weltmusik alle in Ekstase versetzt hatte, und wir sie partout nicht von der Bühne lassen wollten, schnappten sie sich ihre Instrumente, kamen vor die Bühne und spielten da einfach unplugged weiter. Großartig!

Einen kleinen Eindruck könnt ihr in diesem Video bekommen, Manuel musste nämlich unbedingt filmen wie toll es war.

Für einen kleinen Begeisterungssturm meinerseits sorgte bereits im Vorfeld die Ankündigung, dass  Steve’n’Seagulls das Weinturm beglücken. Und der Auftritt war auch wirklich geil. Nur teilten meine Begeisterung nicht alle. Dies ist bei einer finnischen Band, die aussieht als wäre sie im tiefsten West Virginia aus ihren Schwarzbrenner-Hütten vertrieben worden und Heavy-Metal Klassiker als Bluegrass-Versionen covert aber wahrscheinlich normal. Hier bekam jeder sein Fett weg, Rammstein, Iron Maiden, AC/DC, jeder wurde hier in einen Country-Song verwurstet. Wahrscheinlich findet sie das Publikum bei ihren beiden anderen Tourstopps in Deutschland, Wacken und Summerbreeze, geiler. Aber wie gesagt, ich mag sie.

Den Abschluss des 38. Weinturm Open Airs bildeten die österreichischen Botschafter der großen Amore: Wanda. Leicht fertig von der langen Fahrt (tags zuvor gab’s noch einen Gig nahe der österreich-ungarischen Grenze) betraten die Jungs die Bühne und hatten sofort die Herzen der Menge auf ihrer Seite. Alle Songs wurden frenetisch mitgesungen, und als dann mit Bologna das beste Lied über Inzest seit „Geschwisterliebe“ über das Plateau klang, war jedem klar, dass es mal wieder ein traumhaftes Weinturm-Wochenende war.

Besonders hervorheben möchte ich auch, dass das Weinturm Open Air seinen einzigartigen Charme und sozialen Charakter auch dadurch bewies, dass es 3-Tages-Tickets an acht jugendliche Flüchtlinge aus der Unterkunft im benachbarten Obernzenn und deren Betreuer verschenkte. Eine gelungene Ablenkung für die Kids, die alle aus Kriegsgebieten geflohen sind und teilweise ihre komplette Familie im Bürgerkrieg verloren haben.

Ich freu mich auf jeden Fall schon aufs nächste Jahr!

/Text + Fotos: Simon Strauß /

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Weinturm Open Air