Konfetti - Die Kolumne

29 Sekunden Liebe

Abstrakte Figuren, neue Formen und alles andere als pornographisch: Die Arbeit „29 Sekunden Liebe“ des Nürnberger Fotografen Martin Rehm zeigt in der Weinerei den Liebesakt eines Paare auf behutsame, völlig neue und alles andere als anrüchige Art.

„Die Idee kam mir, als ich irgendwann mal daheim Liegestütze gemacht und nicht gemerkt habe, dass meine Kamera dabei läuft“, erzählt der 30-Jährige. Als er hinterher die zufällig entstandenen Fotos entdeckte und durchsah, befand er, „dass das eigentlich ziemlich cool aussieht“. Nämlich, dass durch die eingestellte lange Belichtungszeit zwar unbewegte Körperteile wie Hände und Füße scharf abgelichtet waren, der Rest aber eine nebelschwammige Formierung. „Daraus wollte ich was machen“, beschloss Martin Rehm, und weil er gerne Bilder mit Tiefgang macht und sich mit dem allgegenwärtigen Thema „Sex und Liebe“ freilich auseinandersetzt, wuchs aus der Idee vor drei Jahren während des Studiums an der TH Design ein Projektwunsch.

Einerseits, sagt er, gibt es schon so viele Aktbilder, andererseits die Arbeitsweise der langen Belichtungszeit und den daraus entstehenden Unschärfen eher aus den Bereichen Tanz und Bewegung. „Der sexuelle Kontext ist hierbei völlig neu, und das finde ich spannend. Und Sex interessiert jeden.“ Nicht ganz jeden interessiert habe seine Suche nach einem Pärchen, das sich traut, sich beim Liebesspiel, bei diesem intimsten Moment zwischen zwei Menschen, fotografieren zu lassen. Die beiden, die sich letztlich dazu bereit erklärt haben, sahen und sehen das ganze Unterfangen völlig locker. „Wir sind beide ziemlich offen und fanden die Idee witzig“, sagen die junge Dame und der Herr, deren Namen aus nachvollziehbaren Gründen lieber unerwähnt bleiben sollen.

Zwei Treffen, viel erklären, viel Vertrauen schaffen später traf man sich dann in Martin Rehms Fotostudio um das Konzept in die Tat umzusetzen: „Ich habe mir ganz genau überlegt, welche Stellungen wirken könnten“, so Rehm. Aber das, was dabei rauskommen würde, darauf war ich gespannt. Herausgekommen sind rund 30 sehr poetische Bilder, auf denen die Körper mal wie Flammen wirken, mal so verflochten sind, dass es viel Fantasie bedarf, um alles einzelne Teile zu identifizieren. Scharf meist die Hände und Füße, unscharf alles andere, genug Raum für Interpretation und eigene Geschichten. Was da so leichtfüßig wirkt, war in Wahrheit Knochenarbeit. Oder viel mehr Muskelarbeit. Die Stellungen, so Rehm wurden jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert, „und 30 Sekunden sind echt lang, das denkt man vorher gar nicht“, sagt auch das Pärchen und erzählt von lachenden Zusammenbrüchen, wenn ein Bild im Kasten war.

Nie hätten sie sich beobachtet gefühlt, nie sei irgendwas anrüchig gewesen, „es war sehr anstrengend, aber auch super lustig, wir würden das jederzeit wieder machen.“ Wieder und weiter machen möchte auch Martin Rehm gerne mit dem Projekt: Paare, die gerne mit dem jungen Fotografen zusammenarbeiten möchten, dürfen sich jederzeit melden. Alter, Aussehen, alles egal. „Ich gebe nur eine Richtung vor, der Rest entsteht aus der Zusammenarbeit und dem, wozu die Protagonisten bereit sind“, versichert Martin Rehm. Und geht damit einen weiteren, neuen Schritt in der langen gemeinsamen Geschichte zwischen Erotik und Fotografie: „Beide sind von Anbeginn der „Lichtbildernerei“ miteinander verbunden.

Bis zur Erfindung der noch jungen Technik 1835 war die bildliche erotische Darstellung ausschließlich auf Zeichnung und Malerei beschränkt. Zu dieser Zeit war die herrschende, öffentliche Moral jedoch sehr prüde bezüglich der Darstellung nackter Personen, insbesondere wenn sie unter einem erotischen Vorzeichen stand. In der Zwischenzeit hat sich einiges geändert: die Fotografie ist als Kunst akzeptiert und die Darstellung nackter Körper stellt keinen Tabubruch mehr dar.“ Martin Rehms poetische Liebesfeuer auch nicht.

 // Text: Katharina Wasmeier / Bild: Martin Rehm //