Konfetti! Und außerdem … Bucklige Verwandtschaft
Die „bucklige Verwandtschaft“ heißt der Legende nach so, weil arme Verwandte früher im Souterrain oder auf dem Dachboden leben mussten. Weil es dort keine geraden Wände gab, führte das zu Körperdeformationen und der geflügelten Buckligkeit. Meine Verwandtschaft ist nicht bucklig. Ganz im Gegenteil schreiten so ziemlich alle der beinahe 25 Angehörigen äußerst stolz durchs Leben, auch wenn bei der ein oder anderen langsam die Beine krumm werden. Aber was macht das schon, so lange der Kopf helle und die Gedanken bunt sind. Was meine Verwandtschaft jedoch eint, ist nicht die Buckligkeit, sondern das Geschrei. Wenn ich jemandem kurz erklären möchte, aus welcher Sippe ich stamme, sage ich oft: Stell dir einfach das Klischee einer süditalienischen Großfamilie vor – nur auf bayerisch, aber mit genau so viel Wein.“ Der Lautstärkepegel stimmt allemal. Ich konnte das jetzt ganz frisch erst wieder überprüfen, denn wir haben uns erstmalig seit dem Ableben des Gründervatis und der Gründermutti wieder getroffen – erstmalig alle zusammen und nicht in übers Land verteilten Häppchen. Ich liebe jeden einzelnen und jede einzelne von ihnen von ganzem Herzen. Aber sagen wir mal so: Am ersten Abend war es bereits soweit, dass ich, die ich ja gemeinhin eher nicht im Verdacht stehe, ein übertrieben feinfühliges Wesen zu sein, sprunghaft den Raum verlassen musste, in dem sich alle zum gemeinsamen Mahl niedergelassen hatten, um nach nebenan zu flüchten, um mich dort in einen Eierkarton zu verkriechen, während sich nebenan riesige Schüsseln mit dampfenden Speisen und Weinflaschen gereicht wurden – und dabei jede Person versuchte, ihrer selbstverständlich wichtigen Botschaft angemessen Gehör zu verschaffen („GIBT ES NOCH WEIN? ICH TÄT NOCH EIN SCHLÜCKCHEN!“). Es begann also ein viertägiges Geschrei. Geschrei bei der Begrüßung („MEINE GÜTE IST DAS TOLL DASS DU GEKOMMEN BIST ICH FREU MICH WAHN-SIN-NIG!“), Geschrei bei jedem Abschied („ABER MORGEN REDEN WIR WEITER!!“). Geschrei beim zu Bett gehen („JETZT SEID EINMAL PST, DIE SCHLAFEN DOCH SCHON!!“), Geschrei beim morgens Aufwachen („MEINST DU WIR MÜSSEN NOCH LEISE SEIN ODER SOLLEN WIR DIE MAL AUFWECKEN?!“). Geschrei beim Frühstück („HAST DU JETZT EINFACH DAS LETZTE HÖRNDL GEGESSEN?“), Geschrei beim Abendessen („DU KANNST DOCH JETZT HIER KEINE BAYERISCHEN TRINKLIEDER SINGEN?“ – „ABER WARUM DENN NICHT, WIR SIND DOCH AUS BAYERN!“), Geschrei den ganzen Tag („ICH MÖCHTE JETZT WEITERGEHEN!“ – „ICH NICHT!“ – „ICH AUCH.“ – „ICH HAB HUNGER!“) … Nach vier wunderschönen Tagen haben wir uns wieder trennen müssen und in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Was bleibt, sind die zärtlichsten Erinnerungen. Und so ein verdächtiges Piepen im rechten Ohr. An der buckligen Verwandtschaft kann’s nicht liegen – aber an der schreierten vielleicht doch.
// Text: Katharina Wasmeier / Foto: Unsplash //
~~ Diese Glosse erscheint unter dem Namen „Runter vom Sofa“ in der Freitagsausgabe Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung ~~