Autoradio Diskoteka
Konfetti - Die Kolumne

Konzertbericht: Autoradio Discoteka

Es gibt Musiker, die leisten bis an ihr wohlverdientes Ende Großes, werden in Ehren entlassen und mit Pomp zu Grabe getragen. Es gibt Musiker, die landen einmal einen Hit, sehen dann zeitig ein, dass es wohl bei dem einen bleiben wird und machen dann irgendwas mit Gastronomie. Und es gibt solche, die klammern sich an diesen einen, großen Erfolg, geben die Hoffnung nicht auf, dass ihnen ein neues musikalisches Wunderwerk gelingen wird, und lassen sich auf jede Bühne zerren, die verspricht, den Glanz alter Tage und die Aufrechterhaltung eines gewissen Lebensstils neu zu befeuern.

Wie sowas in Summe aussehen kann, vermittelte gekonnt die als „ultimatives Musikerlebnis“ angekündigte, russische „Erfolgsshow“ namens „Autoradio Discoteka“, die am vergangenen Donnerstag versprach, „lebende Legenden“, „beeindruckende Kostüme“ und „professionelle Choreographien“ in die Nürnberger Arena zu bringen – ein Konzept, so hieß es, das seit nunmehr 15 Jahren „russlandweit Konzerthallen“ füllt. Nun, von welcher Größe da die Rede ist, bleibt allein das Geheimnis der Veranstalter, denn dass die Arena sehr befüllt gewesen wäre, kann man ihr nun wirklich nicht vorwerfen. Ob’s am Ticketspottpreis von bis über 200 Euro gelegen haben mag, bleibt ebenfalls unbeantwortet. Nichtsdestotrotz fanden zahlreiche, um nicht zu sagen ausschließlich Mitglieder der ansässigen und umliegenden russischen Gemeinden den Weg zum weltwichtigsten Event der Welt, das ihre Jugendidole, nämlich „reale Stars der 80er und 90er Jahre“ im Gepäck haben wollte und dessen Niveau am klangvollen Namen eines Thomas Anders‘ gemessen werden darf. Unübersehbar tatsächlich ist der Glanz alter Tage. Man trägt Glitzer, Pelz und Discokugel sowohl im Publikum, das standardtanzend hurtig eskaliert oder sich auf den Fluren über die Unverschämtheit mokiert, bereits am Eingang des Reisewodkas beraubt worden zu sein, als auch auf der Bühne, wo ein Victor Rybin in UdSSR-Trikot und fast sitzender Jeans unter frenetischem Gejubel den russischen Wolle Petry gibt und alsgleich für schönste Bierzeltstimmung sorgt. Inwiefern das mit der eingangs genannten „professionellen Choreographie“ im Hintergrund zu tun hat, die so professionell ist wie der Abschlusstanz beim Kinderturnen, nur mit mehr Haut, wird auch hier unbeantwortet bleiben müssen, erfolgen doch Moderation wie Zwischenansprachen ausschließlich auf Russisch. Es folgt der Auftritt einer bis dato namenslosen Formation namens „Ottawan“, die Licht ins Dunkel zahlreicher gedankenlos geträllerter Party-Hits bringt („Di-Ei-Es-Ci-O!“, „Hands Up, Baby Hands Up!“) und Stärken im Playback beweist, dramatische Slow-Hand-Wodka-Hymnen eines Vladimir Kazmin, ein thematisch glitzernder, ansonsten wenig schillernder Yuri Shatunov und endlich „Boney M“, deren Playback vorsichtshalber so laut ist, dass keine Gefahr besteht, die Live-Stimme durchblitzen zu lassen.

https://www.youtube.com/watch?v=RWP2stxNq7M

Beim „Ra-ra-rasputin“ torkelt es gefährlich, war dann aber doch ein Tanzschritt. Ein Glück. Alena Apina lässt sofortige heimelige Tavernen-Sehnsucht aufkommen, und zwar nach denen, die man gegen 5 Uhr morgens noch dringend besuchen muss, und eine „Nancy“ Band zeigt endlich beeindruckendes Kostüm, das sicher nur versehentlich frappierend an Clockwork Orange erinnert. Während unten die Pioniere kasatschoken, schleppt sich oben ein müder Greis in die Scheinwerfer. Der braucht sein Piano vor allem zum Festhalten, den Text liefert der Teleprompter und Toto Live-Karaoke, und schon grölt die ganze Halle „Laschatömikantaaaare!“, was die Vermutung nahelegt, es handelt sich bei dem Herrn um Toto Cutugno.




Der einzige Besucher, der die Bühne stürmen möchte, um ihn zu retten, wird sogleich von fünf Wächtern niedergerungen. Nur wenig zärtlicher führt man den zitternden Singgreis viel zu spät von der Bühne, wo er sich mutmaßlich dankbar in die selbe Nährlösung bettet, in der Thomas Anders ängstlich seinen Auftritt abwartet. Nichtsdestotrotz: Die Halle tobt. Inwiefern das an der ungeniert verzehrten flüssigen Schmuggelware liegt, bleibt wieder unbekannt unbekannt. Aber auch egal. „Autoradio Discoteka“ hält zwar ungefähr nichts von dem, was es versprochen hat – dafür aber ein großartiges Erlebnis und kulturhistorisches Überraschungsevent vor. Spasibo!

https://www.youtube.com/watch?v=xNssUFezPpg

 

//Text & Bild: Katharina Wasmeier //