Ausprobiert: Burlesque
Es ist nicht so, dass ich eine prinzipielle Abneigung gegen hochhackige Schuhe hegte. Ungeachtet dessen, was mir tagtäglich und vorzugsweise am Wochenende x-beinig und haltungsbefreit entgegenstöckelt, erachte ich diese Absatzform als hervorragende Möglichkeit, den Körper und vor allem das Bein zu strecken. Eine Möglichkeit, die freilich wahrgenommen werden muss.
Von mir wird sie das für gewöhnlich nicht. Verschiedenste Gründe (Bequemlichkeit, Kopfsteinpflaster, Busverpassungsangst und so) lassen mich in 99% der Fälle zu Schuhen greifen, deren Absatzhöhe ziemlich genau 9,8 cm weniger beträgt als das, worauf ich jetzt stehe. Und das seit weit über einer Stunde. Unfallfrei. Was nicht so ganz absehbar war. „Burlesque“ heißt der Kunsttanz, den ich soeben ausprobiere. Vielen seit langem bekannt durch den Weltstar Dita von Teese, erfährt diese Gattung des Unterhaltungstheaters aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts derzeit eine Renaissance auf den Bühnen der Republik und nicht zuletzt Nürnbergs. Grund genug, sich das mal genauer anzuschauen. „Wie jetzt, du lernst strippen?“ war der Tenor auf meine Ankündigung. Nein, lerne ich nicht. Vielmehr geht es darum, den Teilnehmerinnen Körpergefühl und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Ob Begeisterung und Talent dann so weit gehen, dass auf Bühnenauftritte hingearbeitet wird, steht auf einem ganz anderen Zettel. „Alles, was du brauchst, sind High Heels und Klamotten, in denen du dich wohlfühlst.
Egal, ob sportlich oder sexy“, so die Anweisung der Lehrerin und professionellen Burlesque-Tänzerin Sweet Chili, Brittina. Da weiß man immer nicht so genau, was zu tun ist – entscheidet man sich für die Variante „weiter Jogginganzug“, fühlt man sich inmitten lauter enger Kleider im Zweifel genau so fehl am Platze wie im umgekehrten Fall die zwei Schnupperstundenteilnehmerinnen, deren Freundin „sexy“ völlig fehlinterpretiert zu haben scheint. Aber der Schreck ist schnell vergessen. Zwölf Frauen, die sich hinsichtlich Alter, Statur, Outfit und Intention nicht größer unterscheiden könnten, haben sich versammelt. Alle wollen mal reinfühlen. Animositäten? Keine. Aufregung? Große. So richtig zu wissen, was da gleich passiert, scheint niemand. Nach der anfänglichen Vorstellungsrunde erzählt jede Frauen, warum sie gekommen ist (Daniela möchte etwas für ihre weibliche Seite tun, Sandra würde sich gerne auch so bewegen können wie die Künstlerinnen in der Show, Anettes Mann glaubt, sie sei gerade im Kino … ) und Lehrerin Brittina, was uns erwartet: Aufwärmen, Lauftraining und dann, oha, Federboa und Handschuhe.
Das Lauftraining jedoch, so erfahren wir erleichtert, verfolgt lediglich das Ziel, uns zu einem würdevollen Gang durch die Fußgängerzone zu verhelfen. Wir nehmen Aufstellung und durchschreiten paarweise den Saal. „Brust raus, Kopf hoch, Blick geradeaus, einen Fuß vor den anderen, Hüfte!“ Was grade noch die normalste aller Bewegungen war, gerät zu einem hochkomplizierten Ablauf, in dem sich einige der Damen schier verheddern. Mein einziger Gedanke derweil: Knöchelbruch! Aber während sich meine „tänzerische Vorbildung“ und das damit verbundene Körpergefühl hier wie schon zuvor bei den Aufwärmübungen (eine sogenannte „isolierte Bewegung“ auszuführen, also beispielsweise nur den Oberkörper abzuknicken, während der Rest völlig reglos bleibt, erfordert ein gewisses Maß an Körperbeherrschung) auszahlt, geschieht um mich herum wundersames. Mit jeder Runde durch den Saal samt werden die Frauen sicherer, die Bewegungen weicher, die Gesichter entspannter. Schnell bestimmt nicht mehr das pure Überleben die Gedanken, sondern es entsteht wieder Raum für Grundbegriffe des Burlesque.
Neben „sexy“ ist das sogenannte „Teasing“, beispielsweise das aufreizende Spiel allein über Mimik, ein zentraler Punkt. Sowie das nächste Thema. „Auch Haltung ist Figur!“, denke ich mir jedesmal, wenn ich dem Drang widerstehe, einem krummstehenden Gör mit der Handkante zwischen die Schulterblätter zu schlagen. Und hier geht’s gleich noch weiter. Wir lernen, wie der größtmögliche langes-Bein-Effekt erzielt wird, wohin man Hände aufräumt, wie eine Glamour-Pose geht. Dass es gleichgültig ist, wie alt, jung, groß, klein, dick, dünn wir sind, sondern wichtig, dass wir uns gutfühlen. Dass Ausstrahlung mehr wert ist als BMI. Und die Botschaft kommt an. Die Choreographie, die wir erarbeiten, fühlt sich am Ende durchaus öffentlichkeitstauglich an, und so scheint es allen Teilnehmerinnen zu gehen.
Beinahe verwundert registriere ich, wie die Frau im Spiegel, die nun zur schwarzen Trainingsklamotte mit roten High Heels noch Federboa und lange Seidenhandschuhe trägt, der Schmerzen ungeachtet die Anweisungen befolgt. Vintage-Haltung, Knie über Knie, Hände aufgeräumt, lächeln auch wenn‘s wehtut (und das tut es!). Mit Blicken spielen, in die Boa kuscheln, Pin Up-Pose einnehmen. Zum krönenden Abschluss sollen wir gruppenweise das Erlernte darbieten. Kneifen gilt nicht, verstecken hinter der Vorderfrau geht nicht. Aber wozu auch? Es ist schön zu sehen, wie die Frauen Freude an den neuen Bewegungen haben, wie sich gegenseitig Beifall und Respekt gezollt wird, wie sehr alle in der kurzen Zeit gewachsen zu sein scheinen. Burlesque also. Ein schönes Gesamtpaket. Fast bin ich versucht, mich auf den hohen Hacken aufs Rad und damit in die Stadt zu schwingen. Aber man muss sein Glück ja nicht überstrapazieren.
// Text & Bild: Katharina Wasmeier //