Konfetti - Die Kolumne

Ausprobiert: Erschrecker

„SEHR WITZIG, MARIUS!“, maule ich und atme sofort in meine imaginierte Papiertüte. „Sehr witzig“ findet auch Marius, entblößt die langen Eckzähne und verschwindet mit wehendem Gewand hinter der nächsten finstren Ecke. Ja gut, er hat’s mir ja gesagt: „Du wirst sehen: Einfach von hinten an die Leute anschleichen, das funktioniert immer wieder!“ Mit grandseigneuraler Miene hatte ich abgewinkt. „Ach was!“ Das hab ich jetzt davon. Es funktioniert tatsächlich immer wieder. Zumindest bei mir.

Ich befinde mich in einem circa vier Quadratmeter großen Raum. Es ist ziemlich sehr stockduster. Neben mir ein Einkaufswagen voller Ekelschmodder, am Boden vor mir eine Schiene, die zielgerichtet in meine Arme treiben soll, worauf ich blutrünstig warte und was meine einzige Daseinsberechtigung ist: armen Menschlein, die gerade knapp drei Minuten Fahrt durch die „Geisterstadt“ absolviert haben, kurz vor dem Ziel nochmal so richtig den Rest zu geben. Dazu würde völlig ausreichen, einfach hinter der sich öffnenden Tür zu erscheinen. Weiß ich, weil damit ich „ein Gefühl für das alles hier bekomme“, hat mich Chef Hermann Fellerhoff höchstselbst zweimal durch die Bahn gejagt. Einmal freiwillig, einmal, nun ja, nicht.

„Ich will nicht alleine fahren, ich hab schreckliche Angst!“, schrie ich über den Volksfestplatz und kurz darauf zwar weniger wortreich, dafür an allen erdenklichen Stellen in der Geisterbahn, denn Marius, Claudio und Nico nehmen ihren Job redlich ernst. Springen hinter Türen hervor und auf die Gondeln und schauen grantig drein. Die drei arbeiten als „Erschrecker“, sind gruselig geschminkt als Vampire und Zombies, und wie das so ist, Menschen einen kleinen Infarkt zu bereiten, das probiere ich heute mal aus. Zu diesem Zweck habe ich mich in Jennifers geübte Hände begeben. Jennifer ist Hermanns Frau und eigentlich gelernte Konditorin, „aber das ist ja fast das gleiche“, sagt sie, während sie mir flink und schadenfroh Dinge ins Gesicht schmiert, von deren Ergebnis ich mir keine Vorstellung mache. Bis ich nach gut 45 Minuten in den Spiegel schauen darf. „Gut“, sag ich, „das ist jetzt ein bisschen so wie bei diesen Schönheits-Sendungen auf RTL2, nur umgekehrt.“

Zombie

Aus dem Spiegel blickt mir ein bleicher Zombie entgegen, mit sehr vielen, sehr blutigen Wunden. Hübsch hässlich. So soll ich jetzt also rausgehen auf den Volksfestplatz und mit den Menschen „alles machen außer anfassen“, sagt Meister Fellerhoff, anfassen sei verboten wie so vieles anderes in deutschen Geisterbahnen. Man brauche innerhalb der Anlage nicht so viel tun, sonst erleide der Besucher einen Abstumpfungseffekt wegen zu vieler Eindrücke. „Und du bleibst sowieso nur vorne oder draußen, sonst gehst du mir verloren, verletzt dich oder machst was kaputt“, sagt Hermann und drückt mir vorsichtshalber eine Taschenlampe in die Hand. Pfft, schon recht, denke ich, und stolpere über meine eigene Tasche. Bleibe dann doch lieber erstmal draußen. Wegen mau besuchten Geländes funktioniert mein Plan, mich zu verstecken, um dann Leute anzuspringen, nur so mittel. Das gilt auch für die „Ich stell mich einfach auf den Weg und dreh mich unvermittelt um“-Variante. Stattdessen registriere ich, dass ungefähr alle Leute, die gefälligst in Angst und Schrecken vor mir erstarren sollen, zwar innehalten, jedoch lediglich, um ihre Kamera zu zücken.

„Du bist aber ein lieber Zombie!“ kuschelt sich ein Knirps an mein Knie und grient in Mamas Smartphone. So war das nicht gedacht. Ich ahne, woran das liegen könnte: Während die drei Männerschurken absolut rein gar keine Miene verziehen, muss ich dauernd lachen. Über mich, über die absurde Situation und über Menschen, denen es dann doch nicht recht behagt, wenn ich ihnen einfach schweigend einige Meter hinterhergehe. Neue Idee: Auf Zehenspitzen an Herumstehende heranpirschen, ein bisschen interessiert neben ihnen stehen bleiben, um ihnen dann seitlich ins Gesicht zu pusten. HA! Da macht die Truppe einen Satz, und der Opi, der mich beobachtet, kringelt sich vor Vergnügen. So wie auch das Pärchen, das „allestotalspitzenmäßig“ findet und auf den Auslöser drückt. „Ihr sollt gefälligst Angst vor mir haben!“, beschwere ich mich. Habe man, habe man, wird mir versichert und lieber noch ein Foto gemacht.

Es gibt drei Sorten Menschen: Solche, die nicht registrieren, dass in meinem Gesicht irgendwas anders ist. Solche, die viel zu cool sind, um zuzugeben, dass ihnen etwas Unbehagen bereitet, dann aber doch laut kreischen, wegen der Performance. Und solche, die sich hineingeben in den Grusel, denen es Spaß macht, wenn der Magen hüpft. Die mag ich gern. Bei denen kann man, wenn die Fahrt losgeht, einfach kurz hinten auf die Gondel springen und sich an der ersten dunklen Kurve wortlos über sie beugen. Juheissa, da schreit’s und kreischt’s und ich freu mich diebisch. Nur nicht zu sehr, weil für jeden erfolgreichen Schreck werd‘ ich von den Kollegen bestraft. Nach vier Stunden reicht’s mir. Ie Heimfahrt trete ich in vollem Ornat an. Interessiert nur leider niemanden. Werde von lustigen Italienern fotografiert. Parke mein Auto. Bin enttäuscht. Gehe zu meinem Haus. Erschrecke wie verrückt vor der Nachbarin, die ihr Abendzigarettchen aus dem Fenster raucht. Die lacht mich aus. Bin schon ein sauberer Erschrecker.




// Text & Bild: Katharina Wasmeier //