Ausprobiert: 3D Origami
Nun, es ist nicht grad so, dass ich ernsthaft Schalmei erwartet hatte, Fanfaren, Cherubim, Feuerwerk, Glitterregen. Höchstens ein kleines bisschen. Höchstens so rein innerlich. Aber dass es dann nur mit einem simpel entweichenden „Boah …“ zu Ende gehen soll – mau, irgendwie. Schließlich stellte Teil Nr. 31 den krönenden Abschluss stunden- und tagelanger Pein dar, eine Wanderung durch tiefste Täler und Phasen der Gewissenserforschung. Sehr vorweihnachtlich also. Und ich war auch noch selbst schuld. Nachdem ich unlängst das entzückende Wort „Danaergeschenk“ gelernt hatte, beschloss ich nämlich, alsgleich jemandem ein solches zu bereiten – die Wahl fiel bauernschlau auf mich. „Guck mal, da verkauft eine total abgefahrene Bastelanleitungen für so 3D-Origami-Tiere, wer macht denn freiwillig so einen Scheiß?“, rief ich die fatalen Worte aus. Die Antwort folgte listig: „Du.“ Mach ich das also mal.
Unter dem unschuldigen Namen „Paper Shape“ fand sich in diesem Internet ein Angebot „pflegeleichter Haustiere“, die ich mir erfalten kann. Aus diversen einschlägigen Krippentierköpfen wählte ich das nächstliegende: eine Giraffe, hübsch grau mit pinken Hörnern. Die Seite warb mit Verheißungen wie „einfache Mittel“, „kurze Zeit“, „so einfach wie Malen nach Zahlen“ und „überzeuge dich selbst“, ich drückte den Bestellknopf, lehnte mich zurück und vergaß, was ich getan hatte, ebenso flugs, wie die aus dem Augenwinkel erhaschte Anfertigungszeit von „ca. 6h“. Die fällt mir erst wieder ein, als kaum einen Tag später ein Umschlag vor der Tür liegt. Neugierig reiße ich ihn auf und möchte ihn alsgleich dem Müll übereignen. Was ich sehe, gefällt mir gar nicht: Auf sehr vielen bunten Kartons finden sich noch viel mehr sehr unsystematisch aufgedruckt wirkende Puzzleteile, auf denen entlang verschiedenartiger Striche eine schiere Unsumme wirrer Zahlen steht. Dazu eine Anleitung, bei deren Anblick ich in hysterisches Gelächter ausbreche.
Es ist nicht so, dass ich Geduldsspiele hassen würde, iwo. Sie bereiten mir lediglich nachgerade körperliche Schmerzen ebenso, wie mein absolutes Unvermögen, Anleitungen jedweder Art, die ich nicht auf den ersten Blick verstehe, einem intensiven Studium zu unterziehen (vgl. Textaufgabe, die). Und was ich sehe, erscheint mir maximal undurchdringlich. Aber gut. Ich hole das geforderte Werkzeug: Schere, Lineal und – aha! – Brotmesser und beginne mit dem vermeintlich einfachsten Teil: ausschneiden. Blicke auf die Uhr. Blicke Stunden später erneut auf die Uhr. Erkenne die Zeit nicht. Alles verschwimmt zu Strichen und Formen und Farben, mein rechter Daumen fühlt sich an wie drei Tage Maßkrug stemmen, mein Körper moniert unorthopädische Sitzstarre, der Stapel Puzzleteile scheint sich indirekt proportional zu den noch zu schneidenden Kartonagen zu verhalten, die einfach nicht weniger werden wollen. Spontane Anflüge von Wut werden mit Verschnitt bestraft, einsetzender Hochmut ebenso, weswegen ich zurückkehre zur Lethargie.
Fünf Stunden später ist das letzte Stück befreit. Ich hasse die Welt, mich, das Kollegium und insbesondere diejenige Person, die sich das alles ausgedacht hat. „Haha, schon wieder einer drauf reingefallen“, reibt die sich vermutlich die Hände, wann immer eine neue Bestellung eingeht. Muss dringend erst meine Knochen in gewünschte Form falten, bevor ich das gleiche mit den Schnipseln tue. Vor dem Falten soll ich falzen. Zerstöre mit Brotmesser erfolgreich die nach-außen-oder-innen-falt-Markierung. Arbeite mich anschließend mit Käsemesser durch eine Myriade Linien. Eignet sich nicht gut für „Tree of Life“ (Intellektuellenpoem). Eignet sich gut für „Circus Halligalli“ (sic!). Transferiere Linien auf Couchtisch. Bemerke nichts. Bin losgelöst von Raum und Zeit. Erwache aus der Trance, als tatsächlich alle 33 Teile irgendwie geknickt sind. Deutlich zu erkennen: Es ist eine Giraffe. Nicht.
Denkbar wäre auch ein Kugelfisch mit riesigen Flügeln. Jetzt also Kleben. Starre auf die Anleitung, um mich angeekelt wieder abzuwenden. Wiederhole Vorgang mehrmals. Frappierende Erinnerungen an Algebra kommen hoch, nur dass ich hier auf DIN A4 eine Gleichung mit mindestens 150 Unbekannten habe. Ein Beispiel? „22 + 9 (167, 154, 162, 168, 157)“. Easy! Mittels beigelegter Klebepads soll ich Laschen und Kanten verbinden, entsprechend der Nummerierung. Konzentriere mich. Erbitte dann doch lieber Beistand. Freundin eins schiebt flugs erkrankte Tochter vor. Freundin zwei äußert sich geflissentlich zum Thema „Geisteszustand“. Meinem. Atme tief durch und beginne das Puzzle. Aus dem Erdkunde-Unterricht und dafür obligatorischen Diercke-Weltaltlas ist mir ein Satz in Erinnerung geblieben. Um die Welt als Kartenbild darstellen zu können, wird das „Aufklappen“ der Kugel mittels einer Orange erklärt sowie dem signifikanten Satz „das geht nicht ohne Dehnen und Stauchen“. Das gleiche tue ich jetzt, nur umgekehrt.
Verwundert nehme ich zur Kenntnis, wie aus den formlosen Schnipseln ein dreidimensionales Gebilde entsteht. Bei der Schnauze bin ich noch vorsichtig und entsprechend langsam, doch peu-a-peu optimiere ich die Handgriffe, was in einem fortgeschrittenen Anfall von Größenwahn mündet, ich Teile wieder trennen und einsehen muss, dass die vorgegebene Reihenfolge der Arbeitsschritte vielleicht nicht ganz so willkürlich ist, wie es vereinzelt den Anschein hat. Auch meine streckenweise feste Überzeugung, hier und da müsse der Designerin ein Fehler hinsichtlich der Nummerierung unterlaufen sein, stellt sich bei eingehender Betrachtung als irrig heraus. So aber auch die Überschrift des vierten und letzten Abschnittes.
„Das Ende naht“, heißt es da verheißungsvoll, und wer da stutzt, der tut ganz recht daran. Da die Ereignisse und ausgestoßenen Flüche der kommenden Stunde ohnehin der Zäsur zum Opfer fielen, spare ich mir das gleich. Von ungläubigem Stolz erfüllt präsentiere ich mein Werk auf verschiedenen Kanälen. „Das ist aber ein schönes Rentier“, höre ich, und „Gibt’s dazu auch noch einen Körper?“ und „Bist du jetzt vollkommen wahnsinnig geworden?“ Leiste heiligen Schwur, jedem, der weiter lästert, ein solches Set zu Weihnachten zu schenken. Hänge anschließend weisungsgemäß die Giraffe an den Nagel – und meinen Bastelelan für die kommenden Jahre gleich mit. Fühle mich charakterlich gestärkt. Immerhin.
3D Origami „Giraffe“, 21,90 Euro (inkl. Versand), Anfertigungszeit: 6 Stunden (Soll), ca. 17 Stunden (Ist); www.paper-shape.com
// Text & Bild: Katharina Wasmeier //