Interviews / Musik

Ich bin das Gegenteil von Kälte-Pop – Streichelt im Interview

Aktuell verhelfen Acts wie Edwin Rosen, nand, Temmis oder Steintor Herrenchor das Genre der (neuen) Neuen Deutsche Welle zum neuen Glanz. Ein Nürnberger Vertreter dieses New Wave Sounds ist Streichelt, der vor kurzem seine Debüt-EP „Streicheeinheit“ veröffentlicht hat. Vor seinem Konzert am 21. Februar zusammen mit SKUPPIN im MUZclub Nürnberg haben wir mit Hannes, seines Zeichens auch Frontmann der Indie-Band Figure Beach, über die Bilderwelt und DIY-Attitüde des Genres gesprochen.

Auch, wenn man es eigentlich nicht fragt: Was steckt hinter deinem Künstlernamen Streichelt?

Hannes: Ich habe einfach kurz mit meiner Freundin gebrainstormt, was man aus meinem Nachnamen Weichelt machen kann. Normalerweise sind Bandnamen immer aus Blödeleien entstanden, aber das war ein produktiver 10-Minuten-Prozess. Dann ist „Streichelt“ gefallen und ich war sofort begeistert. Es hat sich mit dem Namen auch eine visuelle und konzeptionelle Welt aufgetan.

Welche Welt ist da aufgegangen?

Hannes: Diese weiche Welt, in der man von der Musik gestreichelt wird mit Songs, die einen in den Arm nehmen und verstehen.

Ich habe auch eine neue Männlichkeit damit assoziiert.

Hannes: Ja klar, Mut zur femininen Seite sicherlich auch. Ich spiele auch gerne mit dieser Seite: Für die Bühne schminke ich mich und ziehe mir schöne Sachen an, was auch definitiv in der männlichen Welt Platz hat.

In welches Genre würdest du dich selbst einordnen?

Hannes: Es ist New Wave, Synth Pop und hat Elemente von Post Punk, Techno, teilweise Indie. Mittlerweile lässt sich so etwas angenehm unter den Überbegriff NNDW (Neue Neue Deutsche Welle) zusammenfassen, aber NNDW ist eigentlich auch kein Musikgenre, sondern eher eine Szenebewegung. In der NNDW gibt es auch viele Gitarren auf russischen Post Punk-Beats, aber ich bin eher in der Synthesizer-lastigen Ecke. Ich weiß auch gar nicht, wo es genretechnisch noch hingeht. Ich will mich da nicht einengen oder durch Begriffe limitieren müssen. Das, was ich bisher gemacht habe, hatte immer einen sehr schnellen Drumcomputer-Beat. Ich habe auch Lust auf langsamere Sachen oder Sounds, die etwas vom Post Punk-Vibe weggehen. Ich bin noch in der Probier-Phase und es ist mir wichtig, dass ich immer etwas ändere. Ich arbeite gerade an der nächsten EP oder vielleicht sogar Album und das darf gerne auch etwas anders klingen.

In den 70ern ist mit Kraftwerk, Einstürzende Neubauten oder DAF das Phänomen Kälte-Pop aufgekommen. Kannst du dich damit identifizieren?

Hannes: Gar nicht. Ich bin eher das Gegenteil davon – Wärme-Pop. Meine Umarmungen sind warm, streicheln macht warm. Sehr viel von der NNDW ist Emo, traurig, düster und da will ich gar nicht sein.

Ich habe traurige Musik – bei meiner eigenen Musik – soweit es geht hinter mir gelassen. Meine Musik ist schon auch melancholisch, aber immer mit einer positiven Einstellung oder zumindest mit einem Ausblick auf Hoffnung.

Wie kam es denn überhaupt dazu, dass du neben deiner Band Figure Beach mit Streichelt einen neuen musikalischen Weg eingeschlagen hast?

Hannes: Es ist sehr schön, ein Soloprojekt zu haben. Ich habe alles in meinem Zimmer selbst produziert und bin unglaublich effektiv und kann in kurzer Zeit sehr viel schaffen und habe die komplette Kontrolle über den musikalischen Prozess. Das genieße ich sehr. Ich mache schon lange Musik, auch viel elektronisches Zeug. 

Und vor zwei Jahren war Edwin Rosen beim Nürnberg Pop Festival. Ich kannte nicht wirklich etwas von ihm, nur einen Song, der mir bis dahin auch nicht sonderlich gut gefallen hat. Aber alle wollten hin, daher wollte ich es mir auch anschauen. Ich bin aber nicht reingekommen, es gab eine 200 Meter lange Schlage und ich habe mich gefragt: Wie krass populär ist der denn? Dann habe ich mir seine Songs noch einmal angehört. Es sind Bedroom-Produktionen und ich dachte mir: So schwierig kann’s nicht sein, das mache ich jetzt auch. Dadurch habe ich den Zugang zu dieser NNDW bekommen und auf einmal super viel neue Musik gefunden. Auch die DIY-Einstellung der Szene hat mich fasziniert, da es viele Leute in ihrem Zimmer machen und es nicht so wichtig ist, eine High End-Produktion abzuliefern. Ich mag auch diese visuelle, nostalgische Synthesizer-Welt. Dann habe ich relativ schnell die ersten Songs produziert und released. Und es ist deutlich besser angerollt als erwartet.

Den schnellen Start kann man auch auf Spotify erkennen – dein erster Song „Sicher nicht“ hat schon über 330.000 Streams, du hast aktuell 37.000 regelmäßige Hörer:innen.

Hannes: Es sind nur Spotify-Zahlen, die auch etwas trügen können, aber ich merke schon, dass ich jetzt zum ersten Mal trendige Musik mache. Ich habe in diesem Jahr so viel Feedback von fremden Leuten bekommen wie wahrscheinlich in den zehn Jahren insgesamt davor nicht.

Dazu gehört aber sicherlich auch, dass du auf Instagram kreativ und aktiv bist, z.B. mit kleinen Sound-Tutorials.

Hannes: Das hat tatsächlich sehr geholfen und ist das, was heutzutage am meisten bringt. Das erste Video, das ich auf Instagram gepostet habe, ist für meine Verhältnisse etwas viral gegangen und hat gleich viele neue Follower:innen gebracht und sich auch auf Spotify bemerkbar gemacht. Das trägt viel mehr als klassische Promo-Arbeit.

Wenn du alles ganz allein machst, ist es dann auch viel persönlicher?

Hannes: Ich denke, von außen betrachtet nicht. Ich habe einen anderen Bezug dazu, weil ich alles selbst eingespielt habe und allein verantwortlich bin. Es sind noch mehr meine „Babys“ als Musik, die man mit einer Band teilt. Klar, die Texte sind immer auch persönlich inspiriert und dann weitergesponnen, aber das war davor ja auch schon so.

Für den neuen Song arbeite ich wieder mit Jan Kerscher von Ghost City Recordings zusammen. Ich freue mich, in Sachen Produktion weiterzukommen und für den letzten Schritt mal aus meinem Zimmer rauszukommen. Der neue Song heißt „Eines Tages“, kommt am 23. Februar raus und es gibt auch zum ersten Mal ein Musikvideo dazu. Den Song werdet ihr auch am 21. Februar in der MUZ mit SKUPPIN und Demian live hören.

Streichelt live: 21. Februar | MUZ Nürnberg

// Interview: Sarah Grodd // Bild: Olli Schmidt //