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Interview mit Bulgarian Cartrader

Ende letzten Jahres ist das Debütalbum „Motor Songs“ von Bulgarian Cartrader aka Daniel Stoyanov erschienen. Einst in Sofia geboren, mit vier Jahren nach Deutschland gezogen und mittlerweile in Berlin wohnhaft, war er bereits vor seiner Solo-Karriere professioneller Background-Sänger von Bands wie Seeed und in eigenen Bands wie Malky.

Wir haben ihn vor seinem Auftritt auf dem Nürnberg Pop Festival getroffen und nicht nur über Kinderdisco, LCD Soundsystem und seine kurze Phase als Autohändler gesprochen.

Morgen spielst du ein Konzert im Berliner Humboldtforum im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Thema (post-)sozialistische Kultur- und Volkspaläste in Osteuropa. Wie findest du es, dass du von außen in diese bulgarische Ostblock-Ecke gepackt wirst – und du es zum Teil auch bewusst machst?

Daniel: Ich finde es gut. Mittlerweile kommt die Hauptinitiative von mir. Ich komme ja aus der Ecke und dann spiele ich dem Klischee und der Fantasie entgegen, die viele westeuropäische Medien vom Ostblock haben. Ich möchte zeigen, dass es auch in Bulgarien eine Indie-Subkultur gibt und dass es dort eine schöne Struktur gibt. Wir haben angefangen, mit einer bulgarischen Produktionsfirma videotechnisch zusammen zu arbeiten. Ich finde, das ist so oder so Teil meiner Geschichte, aber es gibt noch bestimmte Facetten, die noch nicht gezeigt wurden in der Hinsicht. 

Wirst du dein nächstes Album also auch in Bulgarien produzieren? 

Daniel: Ich werde nächstes Jahr auch mal zwei, drei Monate am Stück in Bulgarien verbringen. Ob ich mein nächstes Album da produziere, weiß ich aber noch nicht, ich produziere eh immer zwischen Tür und Angel. Ein paar Sachen werden bestimmt auch in Sofia in irgendeinem Workspace entstehen. Aber vor allem jetzt streben wir viel Visuelles in Bulgarien an und arbeiten mit einem Netzwerk von Leuten zusammen, die zum Teil in Westeuropa studiert haben und nun zurückgekehrt sind.

Ja, in all deinem Visuellen arbeitest du einen gewissen Ostblock-Charme mit ein. Auf YouTube kann man dein Album mit einem Full Album Visualizer durchhören und einer alten Dame dabei zusehen, wie sie den Essenstisch deckt.

Daniel: Das ist meine Großmutter. Das haben wir als letztes abgedreht und da hatte ich das Gefühl, dass das Album „Motor Songs“ einen Full Circle für mich macht. Das Video spielt auch in der Wohnung, in der ich meine ersten vier Lebensjahre verbracht habe. Ich mag meine Großmutter sehr, sie ist immer noch vital und raucht ihre Kippe auf dem Balkon. Sie ist eine tolle Grande Dame. Sie deckt 45 Minuten lang den Tisch und man kann das Album Song für Song durchstreamen. Es gibt sehr viel Fleisch auf dem Tisch und man trinkt in Bulgarien zum Entrée immer einen ordentlichen Schnaps, meistens Mirabellen- oder Pflaumenschnaps.

Wie autobiografisch ist „Motor Songs“ dann insgesamt für dich?

Daniel: Teilweise sehr, wenn ich an Songs wie „Embrace“ denke. Im Grunde sind es alles Songs, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind. Aus einer riesigen Ansammlung an Songs haben mir diese elf Songs ihre Dringlichkeit gezeigt. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese elf Songs fertig machen muss, dass ich zu denen auch nach ein paar Jahren des Spielens immer noch eine Verbindung habe. Das Album ist ein Lebensabschnitt von mir.

Hier in Nürnberg hatte ich sogar eine kleine Autoepisode. Mit meinem besten Freund aus Bulgarien, der sich als Autohändler versucht hat, war ich ein paar Wochen undercover unterwegs. Eigentlich Musiker, der einen auf Autohändler macht und mit so einem Täschchen rumläuft *zeigt auf seine Bauchtasche*. Hier in Nürnberg haben wir zwei Volvos gekauft. Wir haben ein Auto bei Regen gekauft und man konnte nicht sehen, dass es einen Hagelschaden hatte. Und wir hatten es von einem bulgarischen Autohändler gekauft, also Bulgaren legen Bulgaren rein.

Der letzte Impuls für das Album kam aber dann, nachdem du ein Interview mit James Murphy von LCD Soundsystem gesehen hast. Inwiefern?

Daniel: Vor dem Interview war ich mir nicht so sicher, ob es ein Album, eine EP wird oder ob ich einfach Single für Single release. James Murphy hat in dem Interview über seine Arbeitsweise erzählt und dann hat es bei mir Klick gemacht und dann habe ich mein Management angerufen und gesagt, dass ich ein Album mache.

Mit einem Album hat man so eine Werkseinheit. Wenn man anfängt, zu veröffentlichen, zieht eins nach dem anderen. Manche Singles funktionieren z.B. nicht so gut, andere wiederum sehr gut, weil ein Synergieeffekt während des Veröffentlichens passiert. Wenn man Single für Single veröffentlicht, wird man vielleicht ein bisschen schüchtern. Wenn man sich für ein Album entscheidet, hat es eine Zugkraft, für die man im Endeffekt auch belohnt wird.

Jetzt beginne ich so langsam eine 2.0-Phase für mich und produziere eine EP, weil ich noch nicht fühle, jetzt schon noch einmal in ein komplettes Album einzutauchen. Im Hintertürchen arbeite ich aber trotzdem schon immer an diesem nächsten Album.

Was genau war an der Arbeitsweise von James Murphy so inspirierend für dich?

Daniel: Ich bin sehr beeinflussbar, wenn ich jemanden sehe, der mich interessiert und den ich bewundere. Dann bleibt die ganze Person und alles, was er erzählt, bei mir sehr hängen. Ich weiß nicht mehr, was genau so inspirierend war, aber alle Songs, die er vorschlagen hat, habe ich danach gehört und in allen plötzlich eine Horizonterweiterung gefühlt habe. Wenn ich so jemanden zuhöre, habe ich das Gefühl, ein Stück von seinem Mindset zu absorbieren und dann imitiere ich auf eine gewisse Art kurz diese Person. Ich habe in der Zeit auch viele meiner Favorite Songs im Cycle gehört und dadurch viel besser festgestellt, was mir gefällt und die Besonderheiten meiner Songs noch einmal besser herausgefunden.

Interview mit Bulgarian Cartrader

Man kann einen Song ja auf unterschiedliche Arten hören und vielleicht erst später so richtig zuhören und herausfinden, worum es eigentlich geht. 

Daniel: Absolut. Ich habe einmal Edibles genommen und dann eine Nummer von Rüfüs Du Sol gehört, die ich schon tausendmal davor gehört habe, aber in diesem einen Moment habe ich den Song plötzlich verstanden, warum er so viele Menschen berührt. Diesen ganz besonderen, zärtlichen und sensiblen Kern des Songs habe ich davor nie so rausgehört. Es ist interessant, wie sehr wir Krusten haben, durch die wir als Zuhörende durchbrechen müssen. Aber: Darf man nicht immer mit Edibles machen!

Mit deiner Vorband Malky scheint es nach fünf Jahren Bandbestehen nicht mehr so funktioniert zu haben. Jetzt gehst du einen anderen Weg und mit „Motor Songs“ hast du zum ersten Mal ein Album komplett allein geschrieben und produziert. Warum?

Daniel: Es ist schwierig, das in der Kürze zu beantworten. Nach fünf Jahren ist einiges aufgebraucht und jeder macht für seine eigene Entwicklung durch. Es war für mich sehr wichtig, alles selbst zu produzieren, um mich selbst auch besser zu verstehen und aus einer Passivität herauszukommen, in vielen anderen Lebenspunkten auch. Das war in gewisser Weise überlebenswichtig für mich. Dadurch, dass ich nun alles alleine mache, erfahre ich das Feedback viel intensiver und für die Erfahrung bin ich auch sehr dankbar.

Ich gebe zu: Als alter Malky-Fan hat mich das Auto-Setting rund um „Motor Songs“ erst etwas abgeschreckt. Aber dann habe ich mich gerne davon in den Bann ziehen lassen, welchen Geschichtenkosmos du um dein Alter Ego Bulgarian Cartrader gebaut hast. Alles von Albumtitel über Songtexte hin zum Artwork ist ziemlich stimmig und steht in einem spannenden Kontrast aus Auto-Prolligkeit und einfühlsamen, autobiographischen Inhalten.

Daniel: Das freut mich und ich höre dir da gerne zu. Mich interessiert sehr, wie es auf der anderen Seite ankommt, weil ich natürlich sehr drin stecke. Für mich ist es so, je ambivalenter ein Projekt ist, desto interessanter ist es für mich. Wenn jemand sein eigenes Koordinatensystem an Logiksprüngen aufbaut, habe ich das Gefühl, jemand gibt sich mehr Mühe und bemüht sich, drum herum etwas aufzubauen. Das gefällt mir und ich denke, dass so eine Art Künstler wie ich auch künftig sein muss.

Ich musste bei deinem Content oft lachen. Auf deinem YT-Channel berichtest du ironisch im Report-Stil über einen alten Kastanienbaum, der für dich Drum-Geräusche von herunterfallenden Kastanien aufnimmt. Oder du zeigt, wie ein Waldgeist die Synthie-Hook für den Song „Mavrud“ einspielt, als Merch hast du sogar einen Auto-Duftanhänger. Wie wichtig ist Humor für die Kunstfigur Bulgarian Cartrader und für deine Musik?

Daniel: Ich würde nicht sagen, dass ich privat eine absolute Spaßkanone bin. Für mich ist Humor erst einmal eine Auflockerungsübung und ein leichter Schutz. Wenn alles bierernst ist, habe ich das Gefühl, nicht ganz ich selbst zu sein. Bei Malky war ich ein bisschen gezwungen zur Melancholie und wir haben oft die Kindheit thematisiert. Ich persönlich habe mit mir selbst oft auch so Kinderdisco gemacht und hatte viele lebensfrohe Momente.

Ich nehme diese Journey jetzt lieber mit Humor, weil es nicht einfach ist. Wir spielen uns mit viel harter Arbeit venue-mäßig hoch. Ich habe früher Backings bei größeren Bands auf den größten Bühnen gemacht [Anmerk. Red.: SEEED, Söhne Mannheims] und dann ist man wieder ganz unten beim Solo-Projekt. Wenn man da keine Prise Humor hat, ist man vielleicht ein bisschen gefrustet.

Ich liebe die Geschichte in deinem Song „Embrace“ um die Metapher der Slow Bullet, die dich kriegt, wenn du stehen bleibst. Ist es ausschließlich als positiver Antrieb zu verstehen oder auch als anstrengender Drang und Pflicht?

Daniel: Es ist alles damit bei. Ich habe nachts geträumt, dass ich sterbe und in dem Traum hatte ich das Gefühl, dass die Sterblichkeit in mein Blut überging. Ich habe es zum ersten Mal mit einem anderen Wesensteil verstanden. Und ich hatte das Gefühl, es ist nicht mehr die Probe zum Leben und dachte: Entweder machst du jetzt, was du dir immer geträumt hast, oder das war es jetzt und das Leben treibt dich in eine Ecke, in der du verhärtest. Ich habe schon das Gefühl, jetzt die richtige Entscheidung getroffen zu haben und der Rest ist einfach Disziplin und Humor.

// Interview: Sarah Grodd //
// Bild: Roberto Brundo //