Kunst im Knast
„Das ist der Lichtblick der Woche“, sagt Martin. „Endlich mal raus aus diesem Loch.“ Das „Loch“ ist ein 27, schätzt Martin, Kubikmeter großer Raum. Rein, aufs Bett fallen, von dem an einen winzigen Tisch, das war’s auch schon. Das „Loch“ hat weit oben ein Fenster, vor dem sind zwei Schichten Gitter, große und kleine. Das „Loch“ wird von außen zu- und selten auch mal aufgesperrt.
Das „Loch“ ist eine Zelle, in der Menschen ihre Zeit während der Untersuchungshaft verbringen. Je eine Stunde Hofgang und eine „Aufschluss“, die restlichen 22 Stunden: eine Tür ohne Klinke anschauen. „Da dreht der Kopf durch“, sagt Martin, „da nimmt man mit, was geht, um aus der Zelle raus zu kommen.“ Seit sechs Monaten sitzt der 32-Jährige hier, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Schuldfrage ungeklärt. Wenn er großes Pech hat, dauert das noch drei Jahre an. Wer Geld hat, sagt er, kann sich einen Fernseher kaufen oder so, aber der macht auch irgendwann den Kopf kaputt. Das weiß Sabine Schnee, wusste vorher schon Frank Baumeister. 2003 rief der Anstaltspfarrer eine Kunstgruppe ins Leben, „weil das Bedürfnis da war“, sagt Sabine Schnee, seit 1992 Sozialpädagogin der JVA.
Mit Schuhputzcreme war da schon gemalt worden, mit Zahnpasta und Rote-Beete-Saft. „Kreativität“, sagt Sabine Schnee, „ist die einzige Möglichkeit, die Gitter mit der Kraft des Geistes wegzudenken.“ Und außerdem und ganz wichtig für viele der hier einsitzenden Männer: eine neue Form der Kommunikation kennenzulernen. Das Malen hilft, Emotionen auszudrücken, für die die Worte fehlen, Vergangenes zu bewältigen, sich selbst am Schlafittchen zu packen und davon abzuhalten, noch weiter abzurutschen. Und Momente der Anerkennung zu erleben. „Als ich das erste Mal hier raus bin“, sagt Martin, „hatte ich ein gutes Gefühl: Ich kann ja doch was.“ Wer in die Kunstgruppe will, muss einen Antrag stellen. Wer eine Kapitalverbrechens beschuldigt wird, eine Sicherheitsprüfung bestehen. Immer donnerstags um 14 Uhr wird sich getroffen in einem der Gruppenräume, zu denen man nur durch viele Gittertüren und Schlösser gelangt. Hier wird dann zwei Stunden nur eins gemacht: geredet.
„Es gibt nur eine Bedingung, nämlich, dass die Gefangenen entweder ein neues Werk dabei haben oder eines, an dem sie eine längere Zeit arbeiten.“ Zuerst bekommen sie dafür nur einen Bleistift – je talentierter, engagierter sich ein Häftling zeigt, desto mehr besser ausgestattet wird er von den Projektleitern, deren Fundus sich aus Spenden und gelegentlichen Verkäufen der Bilder speist. „Man hat kariertes Papier auf der Zelle und schwarzen Kuli“, sagt Martin, „weil man so viele Briefe schreiben darf wie man will. So hat das mit dem Zeichnen bei mir angefangen.“ Dann ging er zu der Gruppe, wusste nicht, was ihn erwartet, „auf jeden Fall nicht dieser respektvolle, gesittete Umgang“, den er dann erlebt habe. Es geht viel darum, sein Innerstes nach außen zu kehren. Bilder werden besprochen, konstruktive Kritik geübt, mit Spott ist man vorsichtig, schließlich kann es beim nächsten Mal schon einen selbst erwischen.
„Wir wollen vermitteln: Ich kann etwas, ich tauge etwas, ich bin was“, sagt Sabine Schnee“, „Und: Nichts an dir ist schlecht.“ Nichts schlecht? Hier sitzen Vergewaltiger und Diebe, Betrüger und Mörder, ist das nicht ein bisschen sehr gutmenschig? „Um Mensch zu sein, muss ich mich und das, was ich gemacht habe, als mein Leben akzeptieren “, sagt Sabine Schnee, „das ist das Grundgerüst, um sozialisiert werden zu können.“ Klar: Wer den ganzen Tag frustriert, aggressiv ist und keine sinnvollen Kanäle lernt, geht vielleicht später raus ins Leben und rächt sich am nächstbesten. Wer lernt, Emotionen, Befindlichkeiten zu artikulieren und dafür nicht verspottet zu werden, sieht vielleicht später andere Wege. So kommunizieren die Gefangenen über Bilder, verarbeiten erlebtes wie die Vergewaltigung durch den Stiefvater, bilden ab, was die die dunkelsten Gefühle in ihnen hervorruft wie der Archäologieprofessor, der die Frauen malt, die ihn so abgründig reizen.
Darüber wird gesprochen, sagt Sabine Schnee, die Sozialarbeiterin, mit ihr oder dem Pfarrer. Es sind aber dann letztlich doch weniger die Inhalte, die beim Betrachten der Bilder – Teile der immensen Sammlung, die sich im Laufe der Jahre angehäuft haben hängen in den Fluren der JVA – so beeindrucken, sondern die blanke Kunstfertigkeit. Teils über den gegenseitigen Austausch und tage-, nächtelanges Üben angeeignet, teils bereits mitgebracht in die Gefangenschaft: Tätowierer und Graffiti-Sprüher, aber auch Architekten und Kirchenmaler landen hier und bringen erstaunliches zu Papier. Ob reduziert auf den Bleistift oder raffiniert in Öl, ob als originalgetreues Portrait oder stilisierte Landschaft – viele der in Gefangenschaft entstandenen Werke beeindrucken. Rund 200 Bilder, sagt Sabine Schnee, könnte man sofort in eine Ausstellung packen. So geschehen anlässlich der GoHo-Ateliertage: Die Häftlinge selbst haben einzelne Werke ausgesucht, die jetzt unter dem Namen „Innenansichten von Gefangenen“ im Gemeindesaal Dreieinigkeit zu sehen sind. „Die Anerkennung“, sagt Martin, „hilft mir hier in meinem Loch.“ Dann schließt sich die Tür hinter ihm.
„Kunst im Knast“, ein Projekt der JVA Nürnberg, aktuell zu sehen am 18. Oktober im Rahmen der GoHo Ateliertage im Gemeindesaal Dreieinigkeit Müllnerstraße, weitere Informationen unter www.jailart.de
// Text: Katharina Wasmeier / Bild: PR //