Wir wollen die nächste Platte kompakter machen – Leoniden im Interview
Während in der Pandemie viele Konzerte abgesagt werden mussten, hatten die Leoniden viel Zeit zum Schreiben neuer Songs, die 2021 schließlich auf dem Doppelalbum „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ landeten. Für das nächste Album will die Band aber wieder andere Wege einschlagen, wie uns Jakob und Lennart vor ihrem Headliner-Auftritt auf dem 40. Haldern Pop Festival 2023 am Donnerstagabend im Interview verraten. Was das Ganze wohl mit Basisdemokratie in der Band und Deutsch-Aufsätzen zu tun hat?
Euer drittes Album ist seit zwei Jahren draußen, die Gigs dazu habt ihr im letzten und diesem Jahr gespielt. Was kommt als nächstes?
L: Die Pandemie hat vieles durcheinander gebracht und uns dadurch hart erwischt. Wir mussten erst einmal die Platte fertig rausbringen und dazu die Tour spielen. Und jetzt sind wir quasi dabei, eine neue Platte fertig zu schreiben und auch bald damit spielen zu gehen.
J: Wir schrieben aber auch schon seit zwei Jahren daran und haben noch nie so viele Prozesse an einem Album gelassen wie dieses Mal, weil wir uns so viel Zeit genommen haben wie noch nie.
L: Aber dass aus diesen Songs ein richtiges Album wird, dieses Gefühl ist noch gar nicht so alt.
J: Ne, ist vielleicht einen Monat alt.
L: Es war ein langer und tatsächlich auch ein schwieriger Prozess für uns, also zumindest einer, den wir unterschätzt haben. Aus all diesen Ideen und Ansätzen und das, was man so produziert, ein Album zu basteln. Ich glaube, IRGENDEIN Album hätte man schnell hingekriegt, aber es musste für uns schon das nächste logische, gute, beste Album werden und da haben wir für unsere Verhältnisse relativ lange für gebraucht. Wir waren eigentlich gewohnt, dass wir da einen schnelleren Output haben.
J: Und ich glaube, man redet über jedes Album, was ansteht, immer über das schwierigste Album. Wir haben auf jeden Fall kein einheitliches Leoniden-Rezept. Dieser paradoxe Reifeprozess zwischen „wir haben etwas, das uns ausmacht“ – das soll auch weiter eine Rolle spielen – hin zu „wir wollen auch neue Sachen einbringen“. Wir sind sehr kritisch mit unserer Musik, weil wir auch wissen, wie wir früher Fans von unseren Lieblingsbands waren und was man da immer bei neuen Alben erwartet hat. Und wenn die Band einen Alleingang gemacht hat mit einem neuen Genre, in dem sie sich ausprobieren wollte, das kann einen als Fan auch treffen.
L: Wir wollen keine Experimente machen, also keine Insel-Alben. Wir wollen es schon weitertreiben, was wir sind, aber wir wollen es auch gleichzeitig nicht wiederholen und das ist wirklich schwierig und deswegen haben wir auch noch nicht so viel zum neuen Album rausposaunt.
Wie kam es denn dazu, dass jetzt ein neues Album kommt? Was war der Grund?
L: Wir haben einfach wahnsinnig viel Musik geschrieben, ausprobiert und gesucht. Und wir wussten auch, dass wir die nächste Platte kompakt machen wollen. Bei der letzten Platte haben wir uns 21 Songs Zeit genommen, um zu zeigen, was wir zeigen wollen.
J: Es gibt viele Skizzen, aus denen keine Songs geworden sind, aber wir haben vielleicht zwei halbwegs fertige Songs bisher nicht auf ein Album genommen. Bei dem Album jetzt haben wir schon 20-25 Songs fertig gehabt und müssen „Kill Your Darlings“-mäßig einiges aussortieren. Es klingt immer wie ein Euphemismus, wenn man sagt, es wird kompakt und homogen. Das klingt so, als würden wir ein Pop-Album machen – überhaupt nicht. Es gibt immer noch weirde Genre-Experimente, aber man kann das Album durchhören und ist danach einfach nur happy und nicht komplett im Arsch.
Aber die Themen in euren Songs sind ja nicht wirklich happy.
L: Das „happy“ meint, dass man mitgerissen und von etwas gepackt wird. Aber thematisch haben wir keinen besonders fröhlichen Song geschrieben. Und das ist auch nichts, das uns ernsthaft dazu inspiriert, Musik zu machen. Es geht schon immer darum, irgendwelche Probleme und schwierigen Gefühle zu verarbeiten und in Kunst zu verpacken. Es stößt mich ehrlich gesagt auch ab, wenn etwas so sunshine-mäßig ist und 3 Minuten 30 geht und auf 1 und 3 wird mitgeklatscht.
Und was genau meint „kompakt“ bei eurem kommenden Album?
L: Ich meinte mit kompakter, das Format im wahrsten Sinne des Wortes kleiner zu wählen. Das ist sehr schwer, eine wirklich punktgenaue Zusammenfassung hinzukriegen von dem, was wir zeigen wollen, statt einfach sehr ausgiebig alles reinzupacken. Das ist wie bei einem guten Deutsch-Aufsatz: wenn er kurz ist und alles gesagt hat, ist er wesentlich besser, als wenn er lang ist und viele Seiten braucht, um alles zu sagen.
Könnt ihr schon verraten, wann das neue Album rauskommt?
L: Wissen wir, wenn es fertig ist, ehrlich gesagt. Wir haben natürlich eine Vorstellung davon, wann es rauskommen könnte, aber wir haben es gerade intern verschoben.
J: Das wird das erste Mal, dass wenn der erste Song rauskommt, die anderen Songs fertig aufgenommen sind.
L: Ja, wir haben vorher häufig wirklich echt die erste Single rausgehauen und waren aber eigentlich noch im Studio.
Eigentlich ist es doch nun einfacher, seitdem ihr in eurem Proberaum auch ein eigenes Studio habt?
J: Nee, Musik mit fünf starken Meinungen zu machen, ist nicht einfach. Wir reden darüber, als wäre es Politik und manchmal ist es total emotional.
L: Und am Ende sagt einfach jemand „Ich fühle es nicht“, was willst du dann machen?
Weil euer Credo ist, dass jeder mit jedem Song basisdemokratisch d’accord sein muss?
L: Nein, basisdemokratisch sicherlich nicht. So doof sind wir nicht, dass wir uns die ganze Zeit kaputt machen mit irgendwelchen Vetos, die es dann zwangsweise geben würde. Und überstimmen ist auch scheiße. Das fühlt sich für alle, die überstimmt haben, auch nicht gut an. Ich muss sagen, es läuft gerade sehr gut, weil wir irgendwann den Punkt erreicht haben, an dem wir gemerkt haben, was wir wollen. Und das aber erstmal zu kommunizieren und einander klarzumachen und sich zu finden in dem, was man vielleicht selbst auch gar nicht hundertprozentig weiß.
J: Künstlerisch ist das total schön, dass wir so viele Möglichkeiten haben, aber es wäre schon leichter, wir wären nur eine Person und wir würden Deutschpop machen, gehen zu einem Produzenten und der weiß, was angesagt ist und dann gibt’s einen Beat und Text von jemand anderem.
L: Wenn wir an dem Punkt wären, dass wir sagen, das beste Album kam schon, dann würden wir kein weiteres Album machen.
J: Definitiv. Wenn sich das für uns nicht so anfühlen würde, wäre over. Wenn wir das Gefühl hätten, Leoniden wären auserzählt, was machen wir dann noch hier?
Apropos auserzählt: Auf den ersten Alben ging’s thematisch viel um das Sich-Finden. Jetzt, wo ihr euch mehr gefunden habt, gibt’s da noch was zu erzählen?
L: Es passiert jeden Tag was, die Liste ist lang. Ich hätte Angst, wenn wir eine Band wären, die dieses EINE Genre bespielt, wie z.B. Green Day. Das hast du irgendwann erzählt.
J: Oder das eine Thema, der ewige Du & Ich-Zyklus über Du und Ich und Wir und dann doch nicht Wir. Darüber kann man nicht vier Alben lang erzählen. Es gibt auf dem neuen Album eine höhere Dichte an noch persönlicheren Songs, aber ich habe mit meinen sieben Leoniden-Jahren auf dem Buckel nicht das Gefühl, auch nur einen Meter weiter weg vom Weltschmerz zu stehen als vor sieben Jahren.
Mit eurem Proberaum als Studio könntet ihr beispielsweise auch einfach ein Glas Reis als Shaker verwenden. Was ist bisher schon zum Einsatz gekommen?
J: Hatten wir schon so etwas Absurdes? *zu Lennart*
L: Wir haben in dem Proberaum ein Studio, in dem wir Teile des Albums aufnehmen werden, wir gehen aber einfach auch wieder in ein richtiges Studio. Wir sitzen da seit gefühlt zwei Jahren täglich und brauchen einfach einen Tapetenwechsel. Das Gute daran ist, wir sind an einem Punkt, an dem wir das einfach machen können. Früher hatten wir aus Zeit- und Kohlegründen immer nur so was wie zehn Tage Studiozeit, weil das Studio sonst viel zu teuer ist. Und jetzt können wir so lange ins Studio und auch in jedes Studio gehen, in das wir wollen. Das ist ein wahnsinniges Privileg, dass wir uns das erarbeitet haben. Und trotzdem können wir gewisse Dinge einfach bei uns im Studio aufnehmen. Es tut dem Album auch gut, dass man nicht 24-7 da sitzt, wo man eh schon das ganze Jahr sitzt.
Also wird das neue Album doch kein DIY-Album im eigenen Proberaum?
L: Doch schon auf eine Art, aber nicht zwangsweise zuhause. Wir haben auch einen Produzenten, aber der Produzent sitzt auch schon mit uns seit zwei Jahren in diesem Proberaum.
J: Ja, und sitzt in unseren Leben auch schon seit zwölf Jahren.
Wer ist denn euer Produzent und was bedeutet er für euch?
J: Magnus Wichmann, Legende! Der hat auch für Blond und Pabst produziert.
L: Er war bei der letzten Platte schon dabei und begleitet die Band schon seit Jahren. Wir sind sehr gut befreundet.
J: Der gehört voll zur Familie.
L: Wenn wir was mischen mussten, hat es immer er gemacht. Aber diese super enge Freundschaft war zwischenzeitlich auch ein Grund, das nicht mit ihm zu machen, weil es sich richtig angefühlt hat, eine andere Instanz dazwischen zu haben. Da wir jetzt den Modus gewechselt haben und Dinge viel länger zu Ende bringen können, ist das genau der richtige Shift gewesen, ihn wieder dabei zu haben und dass er uns über so lange Zeiträume begleiten konnte. Das könnte ich mir mit einem fremden Menschen gar nicht vorstellen.
J: In jeder Dimension versteht er diese Band. Er kennt uns alle, er kennt die Musik, die wir gemacht haben und machen wollen.
Was muss man wissen, wenn man mit euch produziert, was keiner sonst weiß?
J: Das kann man sich denken, wir sind sehr anstrengend und perfektionistisch.
L: Man muss sich sehr drauf einstellen, dass man gebrainwashed wird von allen Seiten.
J: Das ist das Absurde daran, ein Bandkonzept mit gleichberechtigten Meinungen zu haben. Wenn man eine Band um einen Künstler bzw. eine Künstlerin hat, ist es vielleicht leichter. Man kann einfach nicht über alles diskutieren und trotzdem versuchen wir es. Alle anderen Produzenten hätten wir schon längst vergrault. Shout-Out to Magnus, er hat es so gewollt.
L: Das ist nicht so, wie man sich das vorstellt, dass da jemand mastermind-mäßig sitzt und entscheidet, sondern Magnus ist jemand, der mit viel Feingefühl die Momente erwischen muss, in denen er die Leute motiviert, dann auch mal was zu entscheiden. Ansonsten ist es halt sehr wichtig, dass er flexibel und ein Engineer ist, der uns auch manchmal Sachen zeigt. Denn Ideen sind ja erstmal nur Ideen und aufgenommen klingt das häufig ganz anders und dass das nicht an jeder Stelle so fertig abstrahiert werden kann, ist häufig ein Problem in Diskussionen. Das Totschlagargument „Wenn das erstmal so und so klingt“, das nervt. Und dass da jemand ist, der das kurz so klingen lassen kann, ist mega gut.
J: Auch das pusht das Album im Vergleich zu den anderen mega nach vorne, weil wir die Songs immer nur bei uns selbst vorproduziert haben und alles dann schon so eine Art Klangkorsett hatte. Und so kann Magnus nun auch mal nochmal Sachen flippen und schnell drei Versionen eines Songs umsetzen, aus denen wir uns eine geile Version raussuchen können.
Wir sagen Danke für das Interview!
// Text: Sarah Grodd //
// Bild: Sarah Grodd, Niren Mahajan //