Live

Nachbericht: 32. Haldern Pop Festival

Viel Gutes hatte ich im Vorfeld über das Haldern Pop gehört und wurde nicht enttäuscht bei meinem ersten Date mit der niederrheinischen Provinz. Von staubtrockenen Wiesen mit strahlendem Sonnenschein bis hin zu Matsch und Pfützenparcour im Dauerregen präsentierte sich das Wetter ebenso abwechslungsreich wie das Musikangebot.

Donnerstag:

Das hätte dem Lokführer auch mal jemand sagen sollen, dass die bepackten Leute zum Haldern Pop wollten. Stattdessen rauschte er mit uns an Haldern vorbei: viel Glück im nächsten Zug zurück.

Besänftigend dagegen der Shuttle fürs Gepäck, zurück am Bahnhof Haldern: Das Gepäck bekam eine Nummer und ich ein kühles Bier mit selbiger, und während man dem Pulk quer durch das Örtchen zum Campingplatz folgte, konnte man ganz entspannt einen ersten Eindruck gewinnen – toller Service.

Dank unfreiwilliger Verspätung ging es ohne weitere Umschweife gleich zum ersten Konzert in die Kirche. Ja, selbst die St. Georg Kirche in Haldern wird zur Spielstätte und platzt bereits am Donnerstagnachmittag aus allen Nähten. Einlassstopp.

Tiefe elektronische Klänge durchzogen den ganzen Körper, eine hohe Männerstimme hallte durch den Raum, dazu ein Schlagzeug oder auch mal eine Akustikgitarre – nicht nur mit der Kirche als Kulisse war das eine außergewöhnliche und hörenswerte Mischung. Das Set spielten die drei jungen Herren fast an einem Stück durch, sobald etwas Platz für Applaus war, ließen die Konzertbesucher die Band deutlich spüren, wie gut die Musik ankam. Was für ein Auftakt mit Low Roar!

20150813_171808
Low Roar

Danach einmal Straßenseite wechseln und rüber in die kleine Haldern Pop Bar mit dem angrenzendem Plattenladen Haldern Pop Shop.

Haldern Pop Shop und Bar

Bernd Begemann stand mitsamt seiner Band Die Befreiung auf der Bühne und unterhielt die prall gefüllte Venue prächtig mit sinnlichen Tänzen, gefühlvollen Popballaden oder krachigem Punkrock. Der Mann kann eben alles.

20150813_183422
Bernd Begemann & Die Befreiung

Kleiner Spaziergang zurück zum gut zwei Kilometer entfernten Festivalgelände: Auch hier mächtig voll, was aber wohl daran lag, dass die Hauptbühne noch abgesperrt war und sich die zahlreichen Festivalbesucher nur auf die Byzanzstage bzw. das wirklich schöne und magisch anmutende Spiegelzelt verteilten konnten. Geboten wurden am Donnerstag hier u.a. die Durchstarter Annenmaykantereit, Wiener Schmäh von Bilderbuch sowie experimentellen Mitmach-Elektro von Dan Deacon.

?
Annenmaykantereit
?
Dan Deacon’s Mitmachpart

Dass es beim Haldern Pop Festival wirklich noch um die Musik geht, merkte ich ziemlich schnell: wenig Alkoholleichen, noch weniger Kostümierte, wie man sie sonst auf Festivals trifft, und ein breites musikalisches Spektrum von Bands, die überwiegend (noch) nicht im öffentlichen Fokus stehen und darauf warten, entdeckt zu werden. Knappe 45 Minuten Showtime hatten die, um sich in die Herzen zu spielen, wenn man denn genügend Ausdauer hatte, sich alle der über 60 Acts anzusehen …

Freitag:

Während man bei anderen Festivals den Vormittag zum Vorglühen nutzt, konnte man sich beim Haldern Pop schon musikalisch berieseln lassen – noch ein Pluspunkt für Musikliebhaber.

Also begann ich den Tag wie folgt: Aufstehen, frisch machen, ab zur örtlichen Bäckerei Jansen für eine kleine Stärkung und dann für die nächsten vier Stunden in die Kirche – natürlich für Konzerte.

Grandiose Stimmen wurden für die Venue ausgesucht. Den Beginn machte Cantus Domus, ein Chor aus Berlin, der auf dem Haldern später noch den ein oder anderen Künstler musikalisch unterstützte. Unfassbar, wie vielfältig das Haldern Pop daherkommt: Geboten wurde sakrale Musik, natürlich in Latein, in Grüppchen im Raum verteilt oder auch gesammelt frontal, mit leichter Klaviermusik begleitet. Danach noch eine Kantate von Johann Sebastian Bach mit Stargaze und als Abschluss ein psychedelisches Cover von Grateful Dead. Sehr entspannt für den Freitagvormittag, auch der Altersschnitt war aufgrund der Stilrichtung deutlich erhöht.

?
Cantus Domus

Das Publikum wechselte etwas durch, wurde jünger, viele wollten der gefühlvollen nordirischen Stimme von Soak lauschen, die mit ihren jungen 18 Jahren bereits mit George Ezra auf Tour war. Fazit: empfehlenswert!

Soak
Soak

Ebenso Tor Miller, 19, aus Brooklyn, der mit Stimme und Klavierspiel die Haldern Pop Gemeinde begeisterte. Das letzte Konzert in der Location bestritt Lapsley mal mit sanften, mal mit treibenden Elektronischen Klängen und einer lieblichen Stimme, ab und zu auch nur vom Klavier begleitet. Was für ein Start in den Tag!

Tor Miller
Tor Miller

Zurück auf dem Festivalgelände gab es Die Sonne plötzlich zweimal. Nicht nur am Himmel, sondern auch im Spiegelzelt auf der Bühne: pathetisch verkopfter deutschsprachiger Pop mit energischem Sound.

Da jetzt beide Bühnen offen waren, verteilte sich das Festivalvolk deutlich besser, dennoch war ein Reinkommen ins Spiegelzelt immer eine Glückssache, wobei es auch eine Übertragung nach draußen gab, die teilweise besser abgemischt erschien als im Zelt selbst.

Nach stetigem Bühnenwechsel bis zum erschöpften ins Bett Fallen blieben folgende Highlights hängen:

Der elektronisch unterlegte Rap von Kate Tampest, in den man sich nach und nach eingroovte.

Olli Schulz, der, wie er selbst sagte, viele Ärsche geküsst hat, um hier auf die Bühne zu kommen, und nun nach 15 Jahren endlich angekommen ist in der Haldern Pop Indie Szene. Egal ob Konfettikanone zu „So muss es beginnen“, Bauch-Beine-Po-Training zu „Passt schon“ oder auch das „Du bist verhaftet wegen sexy“-Duett mit Bernd Begemann – einfach großartig.

Olli Schulz mit Bernd Begemann
Olli Schulz mit Bernd Begemann

Savages – Postpunk / Popnoir vom Feinsten mit Crowdsurfing der Frontfrau und der Ansage, man möge sich doch von den Fuckern nicht den Abend versauen lassen.

Savages
Savages

Samstag:

Am letzten Tag des Festivals konnte sich das Wetter nicht mehr zurückhalten: Wolkenbruch und zwar ziemlich durchgängig. Während ich im Spiegelzelt geschützt vor Wind und Wetter diverse Bands genießen konnte, entwickelten sich die Außenflächen in ein Meer aus Morast und riesigen Pfützen.

20150815_204104

Doch irgendwann wollte man doch mal einen Blick rauswerfen auf die Hauptbühne. Davor hatte sich in der Umbaupause ein riesiger Kreis gebildet, in dessen Mitte ein paar Matschfans unter johlendem Applaus fröhlich drauflos kickten.

 

?
Pausenbeschäftigung im Matsch

Auch der Veranstalter bewies Humor, als „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ von Rudi Carrell kontinuierlich in den Pausen durch die Boxen dröhnte – und alle sangen begeistert mit. Das Wetter und der Zustand des Bodens spielten keine Rolle, die Musikbegeisterten harrten aus bis zum letzten Ton des letzten Acts The War on Drugs, dessen Sänger sich zum Start erstmal lang machte und die Gitarre wechseln musste.

The War on Drugs
The War on Drugs

Abschließend blieben vor allem folgende Auftritte im Ohr:

Die gelungene Mischung aus Postrock und Folk von den sehr schüchtern wirkenden The Bronze Medal. Verdammt, wieso sind mir die nicht schon bei Folk im Park aufgefallen? Vielleicht weil beim Haldern Pop doch die Musik mehr im Vordergrund stand.

?
The Bronze Medal

Marcus Wiebusch, der auf seiner Abschiedstournee nochmal alle Hits abfeuert, sei es aus … but alive oder Kettcar-Zeiten.

Marcus Wiebusch
Marcus Wiebusch

Woods of Birnam, die Neufirmierung von Polarkreis18-Musikern um den Musiker Christian Friedel. Spätestens seit „Honig im Kopf“ ist auch der breiten Masse „I’ll Call Thee Hamlet“ ein Begriff. Schöner Indiepop.

Die erste Deutschlandshow von Delta Rae, einer Folkrock-Band aus North Carolina. Eine ansteckende Energie wurde von der Bühne ins Publikum geschickt und dann diese Stimmen – der Hammer! Unbedingt mal reinhören.

Delta Rae
Delta Rae

dEUS, die erfolgreichste belgische Rockband, der man das Bestehen seit 1989 auf der Bühne kein bisschen anmerkt. Klasse Indierock-Liveperformance.

dEUS
dEUS

Wetter hin oder her, Haldern Pop war ein besonderes Erlebnis, eines der schönsten Festivals, die ich bisher erlebt habe – friedlich, sympathisch und die Musik im Mittelpunkt. So muss das!

Im Übrigen gibt es vom Festival auch eine Spotify-Playliste zum Lineup – wer also im Nachgang noch Musik entdecken möchte, es ist einiges geboten.

www.haldernpop.com

www.facebook.com/haldernpop

// Text Fotos: André Prager //

Creative Commons Lizenzvertrag

Alle Inhalte sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.