Nachbericht: Petrol Girls
No front row for old men – Petrol Girls live, Club Stereo, 11. Aug. 2022
Nürnberg, Hochsommer: Während sich die Masse dicht an dicht in Biergärten zwängt, steigt fast unbemerkt eines der Konzerthighlights des Jahres in unserem liebsten Club Stereo. Die Petrol Girls sind in der Stadt und werden heute die beschauliche Frankenmetropole auf links drehen. Frisch aus Slowenien von der Punk Rock Holiday Sause angereist, machen die Musiker:innen um Frontfrau Ren Aldridge heute Abend keine Kompromisse.
August war noch nie ein guter Monat für Indoor Konzerte, zu viel Festivalkonkurrenz, zu warm, zu viel Urlaub. Dazu noch das bekannte post-Pandemie Problem und die Inflation. So verirren sich leider nur Kenner in die Klaragasse 8, was toll, aber gleichzeitig auch eine Schande ist, denn die Petrol Girls sind eine der wichtigsten zeitgenössischen Untergrundbands. Ihr ausgeprägter feministischer Ansatz und die dazu passenden, direkten Texte sollten der breiten Masse zugänglich gemacht werden. Müssten, um genau zu sein.
Trotz der widrigen Umstände füllt sich der Club angenehm und als die Petrol Girls auf die Bühne kommen merkt man: Das wird ein guter Abend.
Geliefert wie bestellt
In funkelnden Pailettenshorts und bauchfreiem Top kommt Ren daher, das perfekte Outfit für das Konzert, denn die Venue wird sich innerhalb weniger Minuten in einen Backofen verwandeln. Energetisch und wortgewandt wie immer nimmt die Britin die Zuschauer:innen binnen kürzester Zeit für sich ein und stellt erstmal klar, wen sie in den ersten Reihen sehen will: Alle, außer weiße CIS-Männer. Die haben sich größtenteils schon vorher nach hinten gestellt, denn diese Bitte formuliert Ren auf jedem Konzert und schließlich kommt der Franke nicht unvorbereitet.
Nachdem die Platzordnung also geregelt ist kann der Pogospaß so richtig losgehen. Im Safe Space Stereo kommen alle auf ihre Kosten. Die Band, die positiv überrascht von der doch beträchtlichen Anzahl der Gäst:innen ist, denn wie Ren feststellt: „Wir dachten, heute kommt gar keiner, weil alle noch bei den Punkrock Holidays sind“ und das Publikum, weil die Gruppe in den letzten Jahren nochmals deutlich an Livepräsenz und Message zugelegt hat. Das ist umso erstaunlicher, weil der Kombo schon immer ihr Ruf herausragender Live Performance vorauseilte.
Tränen der Rührung
Nun steht also diese kleine, zierliche Frau und singt und hüpft und schreit sich die Seele aus dem Leib. Wenn Ren über die Themen singt, die sie bewegen, bekommt sie einen kämpferischen, fokussierten Blick und es wird klar: Jede Silbe, jeder Ton, jedes Wort drängt aus ihrem Innersten nach außen, will gehört und verstanden werden. Der dreckige Punkrock der Band, den die Musiker:innen perfekt transportieren, machen die Petrol Girls zu einem Erlebnis, das durchaus zu Tränen rühren kann.
Das gilt auch für das politische Engagement, von dem Ren den aufmerksamen Besucher:innen erzählt. Sie demonstriert jeden Montag in Graz, ihrer Wahlheimat, nachdem sie vor dem Brexit aus Großbritannien geflüchtet ist, um auf Femizide in Österreich aufmerksam zu machen. Von denen gibt es nämlich, wie leider überall, zu viele. Den Opfern verleihen Ren und ihre Mitstreiter:innen eine Stimme. „Keine Einzige weniger!” Ist hier der Leitspruch, den Aldridge wieder mit dieser Bestimmtheit und dem Nachdruck in das Stereo schreit.
Baby, I had an abortion
Ein weiteres Thema, das der Band besonders am Herzen liegt, ist das Recht auf Abtreibung. Aldridge erzählt frei heraus, dass auch sie bereits eine Abtreibung hatte und dankbar dafür ist, dass sie diese Möglichkeit hatte. Seitdem setzt sie sich dafür ein, dass allen Frauen diese Möglichkeit gegeben wird. Sie unterstützt die Aktivistin Justina Wydrzynska, der Serie Jahre Haft drohen, weil sie Frauen “bei Abtreibungen geholfen” hat. In Anbetracht der Geschehnisse in den USA und des weltweit vorherrschenden Patriarchats, das mit allen Mitteln versucht die Rechte von Frauen und der LGBTQ+ Gemeinschaft zu schmälern oder gleich ganz abzuschaffen, mag das Engagement wirken wie ein Tropfen auf dem heißen Stein – aber vergessen wir darüber nicht: Steter Tropfen höhlt den Stein eben auch. Der Moment, in dem es von allen Besucher:innen wie aus einem Munde heißt“Abortion is healthcare!”, ist der erste Schritt zu einer besseren Zukunft.
Ren spricht viel an diesem Abend über Ungerechtigkeiten in der Welt, was sie bewegt, was ihr wichtig ist und wie immer trägt sie ihre Message ohne ein Stottern, ohne Denkpause, ohne Zweifel vor.
Hitfeuerwerk und klasse Merch.
Die Ausführungen sind natürlich perfekt auf die Setlist abgestimmt, die unter anderem “No love for a nation”, “baby, I had an abortion”, “touch me again” und “The Sound” beinhaltet. Gut sind alle Stücke, der Klang passt, das Licht ist atmosphärisch spärlich gehalten. Das Publikum interagiert bereitwillig und tanzt und pogt und skandiert und vor allem: es lächelt. We’re in this together, wir haben alle das gleiche Ziel, lassen uns tragen von den Worten und der Musik und wie im Nu vergeht die Zeit und es heißt Abschied nehmen von den Petrol Girls, bis sie das nächste Mal zu Gast sind. Vorher aber unbedingt noch einen Abstecher zum Merch machen, den gibt es nämlich zuhauf und zu extrem fairen Preisen. Wer sich gar nichts leisten kann, hat noch immer die Möglichkeit, selbstgemachte Patches für umme oder gegen Spende mitzunehmen. DIY at its best.
Bis zum nächsten Mal, liebe Petrol Girls, ihr werdet mit offenen Armen und Herzen empfangen.
// Text und Bilder: Désirée Pezzetta //