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Über Verletzlichkeit und kollektive Erschöpfung – Endless Wellness im Interview

Philipp, Adele, Hjörtur und Milena kennen sich bereits seit 13 Jahren. In ihrer Jugend in Salzburg haben sie zusammen in verschiedenen Bands gespielt. Die offizielle Gründung ihrer Band Endless Wellness erfolgte jedoch erst viel später, im Jahr 2021. Im Januar 2024 ist schließlich ihr Debütalbum „Was für ein Glück“ erschienen.

Kurz vor ihrem Auftritt am 24. April im MUZ Club sprachen wir im gemütlichen Backstage-Bereich mit Milena und Philipp über kollektive Erschöpfung, Kinder und die Rolle des Radios für ihre Band.

Ihr seid seit langer Zeit eng befreundet. Fördert das eine besondere Art der Verletzlichkeit in eurer Musik?

Melina: Naja, es sind halt einfach die Themen, die wir verhandeln und besprechen. Also von Kinderkriegen oder nicht, zu mentaler Gesundheit, zur Klimakatastrophe. Das sind alles hoch beängstigende Themen. Und ich glaube, die auf eine Art und Weise zu besprechen, sie auch anschlussfähig oder irgendwie so nicht zum politischen Essay zu machen, müssen eine Form von Verletzlichkeit in sich tragen. Das vor allem vor sich selbst mal zu verbalisieren, ist glaube ich der erste Schritt der Verletzlichkeit, dann so in dem Mini-Kosmos der Band. Und dann wird es durch viele Hände gereicht, dass es dann bereit ist, in die Welt zu gehen. Aber diese zwei Schritte davor sind hoch verletzlich, einfach der Themen gegenüber und dem Anspruch, den wir an die Musik und Texte haben.

Philipp: Es war auf jeden Fall immer ein großer Akt, diese Entscheidung, diese Songs an die Öffentlichkeit zu geben. Ich habe mir schon immer wieder die Frage gestellt, ist es jetzt einfach nur persönliches Tagebuch oder können andere Leute da anknüpfen? Es scheint nicht nur das zu sein.

Besonders beeindruckend und mitreißend finde ich den Text in eurem Song „Kinder“. Das Lied behandelt das komplexe und hoch emotionale Thema der Entscheidung für oder gegen Kinder. Wie war das Feedback auf den Song und auch auf andere Songtexte von eurem Publikum bisher?

Philipp: Ich habe gerade als erstes an eine Person gedacht, die nach dem Konzert gesagt hat, „Kinder“ hat ihr Leben gerettet. Ja, ich habe keine Ahnung, was man darauf sagen kann. Es ist ganz toll und es ist das Schönste, was passieren kann. Deswegen hören wir wahrscheinlich alle Musik, weil da irgendjemand was erzählt, auch von sich erzählt, das irgendwo resoniert in einem selbst. Und wenn das passiert mit unseren Texten und unserer Musik, ist es echt ein ganz tolles Erlebnis. Und gleichzeitig hat es schon auch Momente gegeben, in denen Leute sehr nah gekommen sind, weil sie sich so sehr damit identifiziert haben, dass wir plötzlich als so Friends wahrgenommen worden sind, was keiner Realität entspricht. Das ist echt ein spannendes Feld, in dem wir uns da bewegen.

Woher kam die Inspiration für den Song „Kinder“?

Melina: Bei einem der ersten Songwriting-Wochenenden, die wir uns in den Kinderschuhen der Band genommen haben. Das war im November 2021. Und Philipp hatte bei dem Song den ersten Vers und die Akkorde. Und das Thema und die Frage, Kinder bekommen oder nicht bekommen, ist für Personen um die  30, denke ich, sehr präsent und das dementsprechend auch in unserem Umfeld etwas war, mit dem wir uns beschäftigt haben und daran angeschlossen natürlich ganz viele gesamtgesellschaftliche Diskussionen geknüpft sind. Und wir hatten dann ein sehr ausgiebiges Frühstück, das langsam in ein Mittagessen übergegangen ist, weil wir uns ausgetauscht haben über unsere Gedanken und Positionen und die Positionen von Personen in der Öffentlichkeit, deren Meinungen wir interessant finden. Und dann am Ende des Tages war der Song mehr oder minder fertig. Er wurde quasi so genährt von dem Gespräch, das wir da geführt haben.

Im einem Pressestatement beschreibt ihr eure Lieder als Versuch, das Gefühl kollektiver Erschöpfung umzuleiten – was meint ihr damit?

Melina: Ich glaube, eine Erschöpfung im Versuch, Anforderungen und Ansprüchen zu genügen, die vermeintliche Vorgaben sind. Also seien es jetzt kapitalistische Appelle, Neoliberale Anrufungen, genderspezifische Vorstellungen, altersgerechte oder unter Anfragen gerechte Vorstellungen, wie man ein Leben zu führen hat oder nicht. Und die Erschöpfung über Systeme, in denen wir uns befinden und die wir nicht eigenständig verändern können und versuchen, daran nicht zu brechen und gleichzeitig – und da kommt die Umleitung rein – versuchen, in einer Form von Gemeinschaft und Trost doch irgendwie eine Art der Persistenz und Resistenz zu finden.

Ihr habt euch bereits mit wenigen veröffentlichten Songs schon eine euch eng verbundene Fangemeinschaft erspielt, das Konzert hier in Nürnberg ist seit Februar ausverkauft. Wie könnt ihr euch den Erfolg erklären?

Melina: Wir haben einfach ganz fantastische Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Nadja Haderer von unserem Label Ink Music macht fantastische Arbeit und wir haben ganz viel Unterstützung von eigentlich dem tollsten Radiosender der Welt, FM4, bekommen, die uns von Anfang an gespielt und unterstützt haben. Und wir haben Konzertanfragen bekommen, einfach weil eine Person auf FM4 unsere erste Single gehört hat. Also das ist wirklich nicht zu unterschätzen, wie viel ein Radio lostreten kann. Und es zeigt, wie wichtig es ist, weil es halt einfach auch menschenkuratiert und nicht algorithmusstrukturiert ist im Gegensatz zu den Streaming-Plattformen.

Philipp: Wir merken schon, seit wir das machen, wie wertvoll Radio ist. Nicht nur für die Reichweite, sondern auch für unser Gehalt. Streaming-Dienste sind einfach kein Ort, an dem KünstlerInnen Musik verdienen, aber Radio schon, weil es da Tantiemen gibt.

Wir sagen: Herzlichen Dank für das Gespräch!

PS: Mehr Lust auf Hören? Das Interview in Audioform findet ihr bei unseren Freunden von Tommy & Brit.

// Interview: Sarah Grodd und Nico Löwinger
// Fotos: Sarah Grodd
// Pressefoto: Rea von Vic