Live / REIN & RAUS

Nachbericht: Melting away ! ‚Melt! Festival‘

Das Melt Festival 2015:

Das fragmentarische Zusammenbasteln von unterschiedlichen Festivalgeschichten scheint manchmal schwerer als vermutet, eine Lego-Anleitung wäre hier die richtige Unterstützung. Der Grund für diese Komplexität ist der Konstellation verschiedener Festival-Stimmungsfaktoren anzurechnen. Denn es geht nicht nur um den Bass-Subwoofer, sondern auch um die ästhetischen Gegebenheiten, den eigenen Bewussteinszustand, den solidarischen Freundeskreis, die Höhen der Anlage, die finanzielle Ausstattung und die Temperaturlage.

1.2

Wahrscheinlich steht für fast alle Ex-Melt-Besucher außer Frage, dass dieses Festival in den meisten Bereichen, den Regler haushoch nach oben schieben kann. Doch wie entsteht das?

1.3

Beginnen wir mit dem musikalischen Grundgerüst. Das Melt-Festival pflegt eine Mischung aus Techno, Maximal, House, Indie, Trance, Ambient, Breakbeat Hardcore und anderen minimal-exotischen Stilrichtungen. Allerdings wird dabei äußerst behutsam darauf geachtet, die Bühnen genrespezifisch aufzuteilen. Das heißt: Im Vergleich zu noch gigantischeren Festivals findet man sich kaum mit der Situation konfrontiert, von Bühne zu Bühne eilen zu müssen, weil beispielsweise auf der >>Hier-könnte-Ihre-Werbung-stehen-Stage<<, Joy Division von Florian Silbereisen abgelöst wird. 1.4

Auch die Line-up-Auswahl besticht beim Melt-Festival durch eine ausgeklügelte Wohlkombination, wobei es natürlich auch immer mal wieder zu Ausnahmen kommen kann. Denn der Trash-Headliner Kylie Minogue war auf den Festivalplakaten kaum zu übersehen. Doch selbst an dieser Stelle, sollte die Lanze für das Melt-Festival gebrochen werden, denn es gehören auch eine gute Prise Humor und Mut dazu, einen derartigen Künstler für sich zu beanspruchen. So etwas ist weitaus risikofreudiger und ulkiger, als einen Main-Headliner, zehn Jahre zwangsmäßig im Routinevertrag an sich zu ketten und jenem jedes Jahr einmal Auslauf auf der Bühne zu gewähren.

1.5

Das Publikum bestand, wie die Jahre davor auch, zu circa 30 Prozent aus Niederländern, 30 Prozent anderen Nationen und einer 41,1 Prozent Mischung aus Berlinern und Leipzigern. Ohne den chemischen Drogenkonsum reißerisch zu verherrlichen, ist es bemerkenswert, dass die Leute – welche irgendwelche Smarties vernaschten – weitaus altruistischer, zuvorkommender und empathischer mit ihren Mitmenschen umgingen. Das gilt zumindest, wenn man den Vergleich zu alkohollastigeren Festivals aufwirft.

1.6.

Widmen wir uns nun denjenigen majestätischen Vertretern, die klangmäßig am meisten Euphorie erzeugten. Die royalsten Highlights waren dabei: Django Django, Sven Väth und Flume. Bands und Djs wie: Mogwai, Romano, London Grammar, Aurora, Tori Y Moi, Howling, Joy Wellboy, Nina Kraviz, Alt-J und Gengahr lieferten ebenfalls sehr solide Auftritte ab, die nicht unerwähnt bleiben sollten.

1.7

Beginnen wir mit Flume, dem jüngsten in der Reihe zwischen Väth und Django Django. Der Hörgenuss war überwältigend, solange man zuvor keine Überreizung mit dem Album betrieben hatte. Unübersehbar war aber auch, dass die Übergänge und die pseudospontane Interaktion, relativ routiniert und mit vorgetäuschtem Enthusiasmus zum Besten gegeben wurden. Dies tat der Show aber wenn überhaupt nur einen marginalen Abbruch, denn die Zuschauer kamen trotzdem zum fein geschliffenen Höhepunkt.

1.8

Den auf die Übergänge bezogenen progressiven Gegensatz dazu bot Sven Väth. Denn hier sah man die strahlende Freude eines Djs, der die Option hat, seine Vinylplatten Abend für Abend zu erweitern, und Platten ab einer gewissen Repeat-Anzahl auszusortieren. Denn es ist ein nicht zu verachtender Unterschied, ob ein Künstler den spontanen Song-Joker ausspielen kann, oder ob der Hit mit 23 Millionen Klicks zum 500. Mal identisch in die Menge geworfen wird. Doch auch die global verstreuten Flume-Bomben à la >>Holding On<< und >>You & Me<< verursachten einen großen Explosionsradius. 1.9

Aber wie interagierte das Melt-Publikum bei der Privataudienz mit Django Django? Ebenfalls hervorragend! Und hiermit sollte eine weitere Stärke des Melt-Festivals abschließend erwähnt werden. Schon auf der Hinfahrt begegnete man Festival-Besuchern, die gar nicht wussten, welche Künstler eigentlich auf dem Melt-Festival spielten, aber trotzdem mit Tickets ausgerüstet waren, weil sie allein vom Ruf dieses Festivals angelockt worden waren. Es wäre aberwitzig, als Besucher, ein legendäres Festival zu erwarten, ohne wenigstens eine winzige Affinität zur elektronischen Musik zu verspüren. Doch sofern gewisse elektronische Instinkte im Herzen verankert sind, ist der Audio-Zuckerwatten-Ausschüttung des Zuhörers keinerlei Einhalt geboten. Bands wie Django Django springen dann einfach aus der Wundertüte und verzaubern die Leute, wenn auch nur semi-elektronisch. Das Melt-Festival ist so vielschichtig, dass es keine großen Namen nötig hat – siehe manche Jahre zuvor – und sich sogar selbstironisch mal den Namen Kyle Minogue auf die Fahne schreiben kann. Ach Melt: ,, I just can’t get you out of my head, it’s like a feeling I can’t explan’’.

1.10

/ Text & Bilder: Leo Zimmermann /