Wenn es keiner hört, dann verblasst es – Interview mit SALÒ
Spätestens mit dem Song „Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa“ ist euch SALÒ vielleicht auch schon einmal in einer Indie-Playlist auf der Musikplattform eurer Wahl begegnet. Seit diesem Intro-Song seiner zweiten EP „Rabatt“ sind weitere Songs erschienen, die das Debütalbum „Subjektiv betrachtet“ am 19. Mai ankündigen. SALÒ, das ist eigentlich Andreas Binder. Wir haben uns mit dem Österreicher auf seinem letzten Tour-Stopp zur EP in der MUZ Nürnberg getroffen und über Fantasie-Deutsch, alkoholfreies Bier und geldverschwendende Werbeschaltungen gesprochen.
Nürnberg ist der letzte Stopp auf euer komplett ausverkauften, ersten Headliner-Tour „2. Kassa, bitte“. Hast du mit dem Erfolg gerechnet?
Andi: Ich war am Anfang sehr nervös, ob das hinhaut. Niels vom Booking wollte unbedingt, dass jede Show der Tour ausverkauft ist aus Mittel zum Zweck, um mich dann an die ganzen Festivals im Sommer zu verkaufen. Aber Nürnberg war das Härteste, das hat ewig gedauert. Ich glaub, die letzte Karte ging erst zwei oder drei Wochen vor unserem Tourstart weg.
Wie war denn die Tour bisher? Ihr macht zugegeben einen leicht angeschlagenen Eindruck. Einige sind krank, auf dem Weg nach Nürnberg heute standet ihr im Stau.
Andi: Es macht total Spaß zu sehen, wenn die ganzen Leute unsere Songs mitsingen und ausrasten. Aber es waren kleine Locations mit kleinen Bühnen mit wenig Star-Allüren, was total okay ist, aber unsere Show ist performancelastig und da fühle ich mich auf kleinen Bühnen sehr unwohl. Ich brauche echt Raum, um unsere Live-Shows so rüberzubringen, wie es die Leute verdienen, die zur Show kommen. Die Tour ist anstrengend und es fehlt ständig Schlaf, weil wir alles abbauen müssen am Ende. Keiner kommt vor 1 Uhr ins Bett. Und um 7 Uhr musst du wieder aufstehen und weiterfahren. Man lernt extrem viel auf so einer Tour, was man machen sollte und was nicht. Das Saufen und Feiern geht nicht. Zweimal haben wir es gemacht, immer bereut. Der nächste Tag und das Konzert danach waren immer scheiße. Und man stellt sich ja selbst ein Bein damit. Ich habe unseren Schlagzeuger auch mittlerweile zu alkoholfreiem Bier überredet. Ich trink sowieso alkoholfreies Bier, weil es denselben Vibe gibt wie alkoholhaltiges Bier.
Ihr seid den kompletten November auch schon wieder auf der nächsten Tour zu eurem kommenden Album „Subjektiv betrachtet“. Man könnte denken, dass du für die Bühne lebst und ihr auf Tour beseelter seid als zuhause?
Andi: So ist es auch. ich bin auch voll gern unterwegs und bin auch mehr unterwegs als ich zuhause bin. Aber in der Realität schaut es anders aus. Solo reisen mit Zug ist ein Unterschied zum gemeinsamen Reisen mit dem Bus, bei dem viele Leute unterschiedliche Bedürfnisse haben. Irgendeiner muss immer aufs Klo. Ich glaube, alleine im Zug – wenn ich mit der Stimme okay bin – könnte ich sicher einen Monat durchfahren, wäre mir komplett egal. Aber mit der Band ist es etwas schwieriger und das Autofahren ist sehr anstrengend und nervig.
Das Thema Zuhausesein liegt ja vielleicht schon im Bandnamen – habt ihr euch nach dem Ort in Italien benannt?
Andi: Ja, es ist der italienische Ort, aber eigentlich haben wir uns auch nach dem Film benannt. Ein Film, der nach dem Buch benannt wurde, das nach dem Ort benannt wurde.
Warum der Film als Namensgebung?
Andi: Der Film „120 Tage von Sodom“ war so ein Schockfilm, den wir uns als Jugendliche reingezogen haben. Und das ist auch von einem sehr interessanten Menschen, von Pasolini, der Kommunist und in einem antifaschistischen Widerstand war. Aber das ist alles zu verkopft. Ich habe den Namen genommen, weil er cool ausschaut und einen Schock-Value hat. Ich bin durch mein Philosophie- und Germanistik-Studium über Marquis de Sade gestoßen und habe mich da mit einer Schock-Sehnsucht auseinandergesetzt und irgendwie fand ich den Namen dann klingend.
In dem Text zu dem Song „Bonjour Tristesse“ thematisierst du ja schon eher negative Emotionen, die als Motor dargestellt werden.
Melancholie ist meine Boje
Distanz ist meine Flut
Immer wenn die Einsamkeit mich beißt
Geht’s mir gut
Andi: Melancholie ist nicht negativ. Wenn man es aus der Psychologie nimmt, ist Melancholie eher so das Umarmen und Annehmen der Trauer. Ich würde schon sagen, es hat ein gewisses positives Element. Vielleicht unterscheidet Melancholie und Phlegmatik das hoffnungsvolle Moment, dass sich diese Melancholie vielleicht doch noch in etwas Positives auflösen kann.
Euch gibt’s erst seit 2019, die Liste einzeln veröffentlichter Songs seitdem ist lang. Hast du den Drang, einen fertigen Song sofort auf allen Distributionswegen zu veröffentlichen?
Andi: Ganz im Gegenteil. Ich bin erst jetzt soweit, dass ich Songs sofort rausbringen kann, wenn sie fertig sind. Zuvor habe ich quasi immer auf ein Album oder eine EP hingearbeitet, indem man nach und nach Singles veröffentlicht. Ich kann nicht einfach einen Song rausbringen, der neu und nicht auf einem Werk ist. Und das ist gemein, weil oft schreibst du einen Song in einem gewissen Mindset, einer gewissen Stimmung oder in einem emotionalen Tonus, der jetzt gerade zutrifft. Du verarbeitest ja oft auch das, was jetzt gerade in deinem Leben passiert. Und dann hat es echt lange gedauert, bis ich endlich einen freshen Song auch rausbringen konnte. Gutes Beispiel: Der Song „Alte Sünder“ war schon ewig fertig und lag anderthalb Jahre herum, bis er auf der EP „Rabatt“ veröffentlicht wurde. Ich hatte überhaupt keinen Bock mehr auf den Song, der war totgehört, bevor der herauskam. Ist doch schade. Das erste Mal gelang es mir mit dem Song „Geil auf Betong“, der war neu und ich wusste, der kommt jetzt bald raus und da habe ich mich sehr gefreut.
Dann gibts ja noch den Song „Analog“, der auf keiner deiner zwei EPs war. Kommt der auf dein aktuelles Album „Subjektiv betrachtet“?
Andi: Ja, den habe ich noch dazu geschummelt. Ich habe den Song veröffentlicht, als ich noch kein Label hatte und alles selbst distribuiert und vor allem beworben habe. Es war absolute Geldverschwendung mit diesen ganzen Werbeschaltungen. Aber das muss halt machen, sonst sieht es keiner. „Analog“ hat ja auch so ein super Video, das ging komplett unter.
Du kannst den besten Song der Welt machen und wenn’s keiner hört, dann verblasst er. Und deswegen haben wir beschlossen, dass wir den Song „Analog“ einfach zum Album dazugeben.
Hier und da lässt du dich von Büchern oder Filmen inspirieren. Wo kriegst du fern dessen deine Text- und Melodie-Inspirationen her?
Andi: Die kommen durchs Leben, aus dem Alltag. Manchmal sind’s halt mega random geistige Ergüsse, die einem da kommen. Ich hab ganz viele Handynotizen, also ich glaub 1.500 und zum Teil wirklich nur einzelne Sätze. Meist ist der Text zuerst da beziehungsweise ich habe ein Thema, das ich unbedingt aufgreifen möchte. Und meistens fange ich die Songs mit so einem Fantasie-Deutsch an. Zuerst sind also quasi die Metrik und die Form da und das wird dann erst mit Inhalt gefüllt. Manchmal findet sich in diesen Fantasiewörtern trotzdem schon eine Line, also ein Satz. Oft kommt der Refrain als Erstes und dann weiß ich schon, um was es geht und schreibe einen Text drum herum. Ich lasse mich nicht bewusst von Literatur oder Filmen inspirieren, aber Zitate schleichen sich immer automatisch ein.
Ich finde es bemerkenswert, wie vernetzt du mit anderen Künstler:innen und Personen zu sein scheinst. Wilson Gonzalez Ochsenknecht taucht in deinem Video zu „Internetfreundin“ auf. Den Song hast du ja mit Mia Morgan gemacht, ebenso wie eine Single mit Eli Preiss. Und du warst unter anderem Support von Edwin Rosen. Wie kommen diese Verbindungen zustande?
Andi: Eli Preiss und ich hatten denselben Produzentenfreund. Er hat ihr zum Spaß einen Song von mir vorgespielt und ihr hat es gefallen, dass sie dann gefragt hat, ob wir einen gemeinsamen Song machen. Mia Morgan war auf einem Edwin Rosen-Konzert, hat sich ein T-Shirt von mir gekauft und dann waren wir so in Kontakt. Dann war ich mal bei Kraftklub eingeladen und habe Mia noch genauer kennengelernt, weil sie Support war. Und dann war halt dieser Internetfreundin-Song und da fand ich, dass sie gut drauf passt. Da war zuerst ein Typ für geplant und dann musste ich ihn leider kicken. War ein richtiger Arsch-Move, aber manchmal muss man sowas in Kauf nehmen, um einen Song perfekt zu machen. Und ich finde, das war ein guter Twist, den die Mia da raufbringt.
// Text: Sarah Grodd //
// Foto: Marko Mestrovic //