Live / REIN & RAUS

Festivalbericht: Off Festival

Off Festival. Kennt ihr? Kennt ihr nicht? Also wir hatten die südpolnische Stadt Katowice bisher nicht unbedingt als Festivalmekka auf dem Schirm. Unser Gastredakteur Robbie auch nicht. Das änderte sich. Für ihn und jetzt auch für Euch. Fußball wurde auch geguckt. Deswegen kein Musik-, sondern ein Sportbild. Passt auch. Zu einem intensiven Festivalwochenende mit vielen Höhepunkten:

Zwischen alten und neuen Meistern

Ein subjektiver Bericht von einem Wochenende in Katowice

Es begann klassisch: Fünf Wochen vor dem Festival saß ich mit Freunden bei Bier und irgendeinem Viertel- oder Achtelfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft rum und wusste nicht recht was mit mir anzufangen. In der Halbzeitpause entdeckte ich im Spalt der Couch zufällig einen Festivalplaner. Das Off Festival in Südpolen wurde darin beworben. Ich las die Bandnamen laut vor. Immer noch der Lektüre zugeneigt, hörte ich aus dem Off ein „Fahren wir halt hin!“

Krautrock und Hotels, Tag I

Autobahn, Hitze und glühender Asphalt. Kilometer schrubben bedeutet: Man hat einen weiten Weg vor sich und will/ muss vorankommen. Für Rumtrödeln ist keine Zeit, für Rumblödeln schon. Den Stau überwunden, das Wegbier ist leer, die Maut bezahlt. Und dann ist das Ortseingangsschild von Katowice wie ein ferner Hafen, den man schon immer ansteuern wollte. Ein Hafen einer alten Industriestadt, die keine Altstadt besitzt und vom Ruß vergangener Dekaden befallen ist. Die aber auch sehr freundliche Wegweiser und kleine verträumte Gemüsemärkte zu bieten hat, die hinter modernen Galerien und Einkaufstraßen aus dem Schatten heraus strahlen. Und eben das alljährliche Off Festival.

Hotel, kein Zeltplatz. Den morgendlichen Flattermann möchte man nicht mit anderen teilen. Bands schimmeln in der Lobby ab, machen sich einen auf. Wir machen uns zum Festival auf. Die Vorfreude tritt der Erschöpfung in den Allerwertesten. Das Gelände, für die nächsten drei Tage unser Zuhause. Hier ist es wunderschön. Es ist viel Platz fürs sein. Viele Stände für Essen, viele Bühnen für Bands und Künstler.

Ein lässiger Typ schwingt mit den Schultern mit, er steht vor keiner Band, die Bühne die er betritt, ist die eines Kultvideospiels aus den 80ern(?), bei dem es darum geht, sein Gegenüber in Grund und Boden zu stampfen. Um ihn herum ist aber alles soweit ruhig und friedlich. Ich schlurfe weiter, vorbei am Verkaufsstand vom Sub Pop, die ein Programm für einen Bühnentag kuratieren, an einem kleinen Stand mit Filmbühne und an Michael Rother von NEU! und Harmonia, der Selfies mit Fans ablehnt. Stunden später ist er allerdings sehr freundlich zu seinem Publikum und bekommt großen Applaus für seinen einlullenden Krautrock. Doch bevor die Black Lips mit ihrem Kirmes Rock’n’Roll zwar für gute Unterhaltung sorgen, dann jedoch leider schnell langweilen, ist der Festivalopener für den hier Schreibenden Perfume Genius, der uns umgeben von raschelnden Bäumen, gespitzten Ohren, geschuldet der weichen Klarvierklänge und sehr aufmerksamen Zuhörer-Innen ein zartes Hallo zuflüstert.

Nach sensationeller Verköstigungen an den zahlreichen Essenständen machen wir es uns bei Piwo (poln. „Bier“) in den eigens dafür angelegten Trinkbereichen mit Sitzgelegenheiten, Sesseln und zwei Doppelbetten (!) im Neutral Milk Hotel bequem. Der breite Sound mit großem Ensemble erinnert sehr an die tollen Broken Social Scene, diese Einschätzung ist dann aber schon sehr dem Konsum von günstigem Bier verfallen und bedarf keiner weiteren Erklärung. Im Trinkbereich geerdet, höre ich nur noch die wummernden Bässe von James Holden, die nicht die Kraft besitzen mich anzuziehen. Vor dem ersten Festivalfeierabend begegne ich im Hotelflur noch zwei strauchelnden Typen, die um eine Schnapsflasche tanzen. Absurdes Bild, Zeit in die Koje zu fallen.

Showeinlagen und All in, Tag II

Der zugebenermaßen sehr subjektive Festivalbericht begann mit einer kleinen Fußball-Anekdote, bei der der Rasensport, wie ich finde, zu kurz kam. Die Randnotiz vom Beginn des Textes wird nun formvollendet mit einem Besuch der Ligapartie zwischen GKS Katowice und Widew Lodz ins Eckige gebracht. Das Spiel ist in der ersten Halbzeit noch sehenswert, danach fast nur noch die Zuschauer. Wie zum Bespiel ein sichtlich gezeichneter Herr, der mit dem winzigen Nachwuchs auf dem Arm den unterbezahlten Studenten im Maskottchenkostüm ansteuert. Ein Lächeln, ein Luftballon (natürlich in den Vereinsfarben) und ein Erinnerungsfoto. Wo früher Schädelspalten angesagt war, regiert heute das Familienglück. Auf dass der Nachwuchs bald dem Mob angehört oder dann doch hoffentlich auf dem Off Festival im Retrovideospielzelt lande! Der Papa ist jedenfalls stolz, vor allem als „sein“ GKS in der Nachspielzeit noch das erlösende 2:1 macht. Danach scheppert zum Glück nur Snap´ Rhythm Is a Dancer aus den alten Boxen des ranzigen Grounds. Gästefans waren nämlich nicht zugelassen. Besser ist es.

Zurück auf dem Festivalgelände plärrt der geschniegelte und sehr böse drein schauende Sänger der Hardcore-Metal Band Deafheaven von der Hauptbühne. Er wäre vorhin im Fußballstadion wohl weniger aufgefallen als wir. Nach dem Lärm folgt der fast schon mystisch anmutende Auftritt von Chelsea Wolfe mit ihrem tollen weißen Kleid à la Sarah Brightman, die sich mit ihren sphärischen Wavepop Songs in ihrer Theatralik verliert. Beim Warten auf meinen all time favorite The Notwist wohne ich noch einem weiteren Schauspiel bei. Im brusthohen Schilf imitiert ein offenbar schmerzfreier Mensch erst eine Hechtsprungeinlage und dann unter johlendem Geschrei abschließend eine Brust- und Rückenschwimmvorführung par excellence. Der unbekannte Irre erhielt reihenweise Twelve Points, ein Ergebnis, von dem die Shoegazepioniere von The Jesus and Mary Chain in diesem Augenblick meilenweit entfernt sind. Gut, ihr Best Of-Set fällt auch unter eine andere Kategorie der intensiven Showeinlagen. Einzig die schelmische Einlage des TJAMC Sängers, der den Mikrofonständer bearbeitet und immer wieder um sich wirft, bleibt vom ersten Teil des Konzerts im Gedächtnis. Dies wiederum rief einen jungen Roadie auf den Plan, der dem betagten Herren sein Arbeitsgerät unzählige Male zurück in Stellung bringt. Der hier Schreibende verbringt dann den letzten Teil, der mit unzähligen Hits wie „Just like Honey“ gespickt war, zur eigenen Schande in sitzender Stellung. Schreiberling Null Points.

Die letzten Kraftreserven werden aktiviert, die restlichen Getränkechips eingelöst. Halb vier morgens lautet das Motto auf dem Off Festival „All-In“. Und auf dem Heimweg läuft man quasi noch Mark Ernestus presents Jeri-Jeri in die Arme. Und Beine, vor allem Beine. Was in den nächsten gefühlten Stunden – an eine Raum- und Zeitverordnung ist längst nicht mehr zu denken – abläuft, ist fast nicht zu beschreiben. Dank eines Percussion-Trommel-Gewitters aus dem Senegal, was sich mit Hilfe zweier Berlinern Technoproduzenten in einen endlosen Vibe aus Africans-Folk-Trance-Funk steigert, bringt den letzten Auftrieb und immerhin noch einen Openair-Rave in einer Schrebergartenkolonie in der Nähe des Festivalsgeländes ein. Die Sonne geht auf. Happiness und die ersten Sportflieger drehen ihre Runden. Kurz danach muss geschlafen werden.

Leute im OFF, Tag III

Der letzte Tag vom Reigen der alten und neuen Meister bringt zur rechten Zeit entspannten psychedelischen Folk-Rock von Jonathan Wilson und das Warschauer Orchester Rozrywkowa, die Songs von Beck interpretierten. Sehr schön und genau richtig, um auf dem Rücken in der Wiese zu liegen und den Sportfliegern weiter zuzuschauen. Als dann die Flieger und Slowdive landen, die sich 2014 wiedervereinigten und ihre ersten Konzerte in Stammbesetzung seit 1994 spielen, legt sich ein warmer Soundteppich aus Noise-Rock und Shoeganzing um mich, der die Blessuren vergessen macht. Ich bin längst heimisch geworden zwischen den anderen Festivalbesuchern. Es wird gegrinst, gelacht und vor sich hin gestarrt. Jeder nach seiner Facon. Als letzter Headliner folgen Belle and Sebastian, die zwar mit schiefen Texten, aber mit unglaublicher Spielfreude, großen Hymnen, entzückenden Ansagen und sympathischem Entertainment die immer noch aufmerksamen Zuhörer-Innen begeistern. Danach fällt der Abschied vom wundervollen Off Festival sehr schwer und man geht doch nochmal in die Verlängerung. Bei den glasklaren und ausgetüftelten Sounds von The Range, die im Hip-Hop, Drum & Bass und im späten 90er R&B wurzeln, finde ich einen erfüllten Abschluss.

P.S.

Es gibt Leute, die wegen dieses Festivals ein Jahr lang auf drei Tage hinarbeiten, für die es in einer kargen Industriestadt einer der jährlichen Höhepunkte ist, die sich durch schweißtreibende Arbeit ein bisschen Geld dazuverdienen können, die von einem Ort der über 1200 km östlich von Moskau liegt, nach Katowice reisen, um so vielen unterschiedlichen Künstlern gespannt und mit herzlichem Applaus zu huldigen, um vielleicht auch mal enttäuscht zu werden, um Menschen zu begegnen, die die gleiche Musik lieben, die ähnlich … fühlen.

/ Autor:Robbie // Foto: Habbe /

www.off-festival.pl