Live / REIN & RAUS

Festivalbericht: Phono Pop

Indie-Familien-Treffen in Rüsselsheim. Die Musik-Kritik ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt, David Bowie wird zum Duett aufgefordert und am Tag danach ist das Phono Pop immer noch da. Na so was…

Das pure Glück in Opel-City

Oder: der gescheiterte Versuch einer Festival-Kritik zum Phono Pop
(Freitag)

Die B43 ist noch da, die B519 auch noch. Zum Glück. Zu den Ortsschildern gibt es tatsächlich noch die dazugehörigen Zufahrtsstraßen. Man konnte sich da ja zuletzt nicht mehr so sicher sein; die Vorstellung, dass sie die verbliebenen Überreste von Rüsselsheim, dieser Fata Morgana einer Stadt, inzwischen auch noch abgetragen haben, ist ja gar nicht mal so unrealistisch. Seit Jahren kommen wir hier her, seit Jahren wirkt die Stadt ein wenig trostloser und ihr Musik-Festival dafür umso lebendiger.

Also wieder einmal Phono Pop. Wieder im alten Opel-Werk. Und wieder mit einem tollen Line-Up. Ausgewählt hat das unter anderem Carsten, den man nun gerne gleich begrüßen würde, weil man ihn ja auch nicht so oft sieht, aber Carsten muss gerade einer Band am Telefon auf Englisch den Weg zum Festival erklären, und wer einmal auf Englisch!, am Telefon!, Wegbeschreibungen! durchgegeben hat, weiß, dass das eine weitaus größere Herausforderung ist als, sagen wir mal, eine ausgefallene Zapfanlage oder ein Musiker, dessen Flug Verspätung hat, und der jetzt dringend direkt vom Rollfeld abgeholt werden muss. Alles Kleinigkeiten für die Menschen, die hier seit Jahren die Stellung halten und das letzte aufregende Kapitel von Rüsselsheim in ihrer Bastion verteidigen.

Carsten umarmt man deshalb einfach später, zum Beispiel beim Auftritt von The Robocop Kraus. Eine von drei offiziellen Reunioncomebackwhatever-Shows spielen die Robos auf dem Phono Pop, was einiges über die Robos aussagt und noch mehr über Carsten. Dieser Teufelskerl. Diese Teufelskerle. Was hat man sich da schon seit Wochen, Monaten darauf gefreut und dann fühlt sich das wirklich auch noch gut an. Erstaunlich. Drölfzig Lieblingssongs spielen sie an diesem Abend und vergessen natürlich trotzdem noch mindestens 27 Hits. Es wird Zeit für den Spex-Titel. Oder ein Duett mit David Bowie. Oder wenigstens für die Erhebung in den Adelsstand. Sir Robocop Kraus.

An diesem Punkt würde man den von Beginn an zum Scheitern verurteilten Versuch einer Musik-Kritik gerne beenden, man würde sich gerne die Worte für den äußerst angenehmen Auftritt von Ry X, den verdächtig perfekten Auftritt von Balthazar und den in der zweiten Hälfte brillanten Auftritt von Messer schenken, aber dann muss man eben doch noch einen Satz zu The Notwist loswerden: U.n.b.e.l.i.e.v.a.b.l.e.

Nun gut, das war nur ein Wort und kein Satz, aber das muss reichen. Wie kann eine Band nur alles so richtig machen? Auf diesen Schock genehmigt man sich hinterher noch ein paar stille Mineralwasser und ist am nächsten Tag noch ein wenig erleichterter: Das Phono Pop ist immer noch da, die B519 auch und die B43 ebenfalls. Was für ein Glück.

/ Text: Sebastian (@fever_pitcher) /
/ Bild: Jan Römer vom Konzert der Afghan Wings auf dem Phono Pop Festival 2014 /

www.phonopop.de
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Der Phono Pop Samstag

Von unserem Gastautor Emil.

Nach einer kurzen Nacht (inkl. der ergebnislosen Suche nach dem legendären Rüsselsheimer Schnitzelwirt) ging es am Samstag schon wieder weiter mit der Essenssuche. Etwas, das außerhalb des Festivals gar nicht so einfach ist. Entweder machen die Läden bereits mittags zu oder man findet leergekaufte Auslagen vor. Einzig der mobile Metzger in der „Fußgängerzone“ verkaufte uns noch Mettbrötchen. Für überragende € 1,50!
Apropos Essen. Auf dem Phono-Pop gab es unter anderem sehr leckere Nudeln, tolles afghanisches Essen, Burger und Pommes und Bratwürste. Und alles zu vernünftigen Preisen. Genau wie die Getränke. Bier (0,4l) für € 3,00 und Schnaps für € 2,50!

Um kurz nach 15 Uhr am Festivalgelände angekommen, nahmen wir noch auf dem Weg zwei Lieder von GHOST OF A CHANCE mit (demnächst Support von Frank Turner), bevor wir zu A TALE OF GOLDEN KEYS wechselten. Die sympathische Band aus Nürnberg ist zwar in einem dunklen Club wesentlich besser aufgehoben, dennoch spielten sie einen sehr gelungenen Auftritt, der ihnen warmen Applaus vom Publikum einbrachte. Und wer weiß, vielleicht spielen sie in drei bis vier Jahren schon an gleicher Stelle zu einer späteren Uhrzeit. Zu wünschen wäre es ihnen auf jeden Fall.

Danach ging es zum Labelkollegen KALLE MATTSON. Der dritten ruhigeren Band in Folge. Natürlich macht Kalle sehr schöne Musik, aber irgendwie hätte ich mir ein Schlagzeug und somit mehr Wums gewünscht! Noch schnell auf das wunderschöne Darkness gewartet und dann erst mal in Ruhe was gegessen und den absolut besten Pfefferminzschnaps Mintu genossen.

Leider kam dann mit SKINNY LISTER wohl die schwächste Band des Wochenendes. Obwohl es endlich mal lauter wurde auf der Bühne, kann ich mit dieser Art Irish Folk Punk irgendwie nichts anfangen. Schon gar nicht, wenn so over the top performed wird und man den Eindruck hat, man sei in einem Bierzelt und nicht auf dem Phono-Pop. Apropos Bierzelt. Kurz danach wurde auch ein Junggesellenabschied auf dem Festival gesichtet. Hat natürlich nicht wirklich reingepasst, aber hat auch nicht groß gestört. Das Kostüm des Bräutigams, der als mobile Torwand unterwegs war, fand ich sogar ganz witzig.

Dann enterten SIZARR die Bühne und die mag ich ja ganz gern. Das Konzert hat mir auch gut gefallen, aber so ganz ist der Funke nicht übergesprungen. Und das obwohl die Band „Koffer zum Bersten gefüllt mit Freude“ für alle Festivalbesucher dabei hatte. Äh, na gut …

Im Anschluss spielten JA, PANIK, für viele die beste Band des Festivals. Ich konnte mit ihnen noch nie was anfangen, wollte ihnen aber unbedingt eine Chance geben, aber spätestens als von der einen Seite der Kommentar kam, dass der Sänger wie Campino klingt, war es mit einer ernsthaften Konzertbetrachtung vorbei und es wurde etwas albern. JA, PANIK Fans meinten später, dass der Auftritt wohl etwas darunter litt, dass der Sänger nicht nur Alkohol im Vorfeld zu sich genommen hatte …

Es ging dann wieder rüber zur kleinen Bühne und endlich gab es mal richtig Krach mit PARQUET COURTS. Leider fehlten so ein wenig die Melodien, sonst hätte es sehr groß werden können. Aber Lieder wie „Borrowed Time“ sind wirklich klasse. Negativ bleibt der Bassist in Erinnerung, der sich anbiedernd einen Eintracht Frankfurt Schal um den Hals gehängt hatte. Vielleicht ist das der Grund, warum links neben mir Watschn verteilt wurden. Aber keine Angst, alles ist friedlich gewesen. Überhaupt ist die Atmosphäre tip top auf dem Festival. Wenn man das ganze Wochenende überhaupt keine Security wahrnimmt, ist das schon eine feine Sache.

Für mich folgte dann der Höhepunkt: THE AFGHAN WHIGS! Von Anfang an zeigte uns Greg Dulli, dass er das Rocken nicht verlernt hat. Als wäre das nicht genug gewesen, hat die Technik eine Lautstärke rausgehauen, welche schon grenzwertig war. Eine gute Mischung aus alten und neuen Stücken mit dem Highlight „Gentlemen“ wurde zum Besten gegeben. Am Publikum merkte man, dass viele Indie-Nerds damit nicht so viel anfangen konnten. Dafür sah man viele ältere Festivalbesucher, die vielleicht nur wegen THE AFGHAN WHIGS gekommen waren. Leider hat er dann etwas zu früh aufgehört. Manche meinten, er hatte wohl kaum noch Luft für mehr. So oder so ein geiles Konzert mit vielleicht der ein oder anderen Rockpose zu viel.

Nach diesem tollen Gig war kurzes Ausruhen angesagt, bestimmt auch wieder mit Mintu, so dass wir mit unserer Gruppe erst zur Mitte des Sets von KATE BOY ankamen (vorher wurden wir auch noch trotz großen Widerstands vom Phono-Pop Video Team zu einem Statement freundlich genötigt, das hoffentlich NIE veröffentlicht wird). KATE BOY machten genau das, was die meisten Leute zu dieser Stunde wollten: Party! Mehr als dass das gut geklappt hat, kann ich eigentlich auch gar nicht dazu sagen, weil wir schon wieder rechtzeitig zur großen Bühne rüber sind, um uns einen guten Platz für WHOMADEWHO zu sichern, nachdem wir am Vorabend bei THE NOTWIST leider mit dem Platz eher Pech hatten. Und WHOMADEWHO enttäuschten nicht. Natürlich musikalisch kein exklusiver Leckerbissen, aber eine Band, die es versteht, die Leute zum Tanzen zu bringen. Perfekt für diese Uhrzeit.

Dann wurde es etwas nebulös. Der zweite Tag in den Knochen und die heutigen neun Stunden auf dem Festivalgelände machten sich bemerkbar. Irgendwann stand ich auf jeden Fall vor einem Typen mit Maske, der wie irre auf Drumpads einschlug und dazu verschiedene Beats laufen ließ (natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt). Es stellte sich heraus, das war SLOW MAGIC und das war richtig gut. Sehr tanzbar und von den Festivalbesuchern mit Rufen nach Zugabe gewürdigt, die es dann auch erfreulicherweise gab.

Im Anschluss gab es wieder eine (gute) Disco und gegen 4 Uhr schlossen sich dann die Tore des alten Opel Werks und wir machten uns auf den Weg zu unseren Schlafplätzen.

Insgesamt ein super Wochenende mit toller Stimmung. Wirklich sehr schönes kleines Festival, auf dem alles noch sehr familiär abläuft. Denn wo trifft man denn sonst noch Eddie Argos einfach so auf einen Plausch oder tanzen Bandmitglieder nachts mit drei Bier in der Hand mitten unter den Festivalbesuchern.

/ Emil /

p.s.: Das Phono Pop Festival feiert 2015 10-Jähriges. Sollte man sich schonmal vormerken.