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Like Lovers im Porträt // Verlosung

Mit „Everything All The Time Forever“ erschien am 06. September 2019 das erste Solo-Album von Like Lovers. In nächtlichen Aufnahme-Sessions entstanden elf Songs, an denen Jan Kerscher neben seinem Hauptjob als Musikproduzent über sechs Jahre gefrickelt hat. Aktuell steht der zweite Teil der Tour bevor und dieser führt Like Lovers am 30. Januar auch nach Nürnberg. Wir verlosen 2×2 Tickets dafür!

Inmitten der Tourvorbereitung und Aufnahme-Sessions mit anderen Bands haben wir uns mit Jan auf einen Tee in seinem Studio Ghost City Recordings getroffen. Dabei haben wir auch über Limitationen, Lost In Translation und die Liebe zu den eigenen Songs gesprochen.

Du bist seit Oktober mit ein paar Unterbrechungen auf Tour. Wie geht’s Dir? Bist du erschöpft?

Jan: Es ist ein völlig verrücktes Gefühl, ich kann es gar nicht richtig einordnen. Ich habe das Gefühl, total schlecht vorbereitet zu sein, weil ich mich daran erinnere, wie heftig ich mich auf den ersten Teil dieser Tour vorbereitet habe und dass es Monate gedauert hat. Wir sind nach wie vor aber gut vorbereitet, weil wir eigentlich nie richtig aufgehört haben, zu touren.

Ich bin schon aufgeregt und ich hab immer mega Bock, Shows zu spielen. Aber es hat eine anstrengende Dualität für mich. Ich schätze es total, hier stationär im Studio zu sein und mit coolen Leuten coole Mucke zu machen. Und im Hingang auf eine Tour denke ich mir „Lieber zuhause bleiben und mal ausschlafen“, weil Touren auch anstrengend sind. Aber sobald man im Auto sitzt, freut man sich auf die Shows. Der erste Teil der Like Lovers-Tour war eine der schönsten Touren, die ich jemals gespielt habe. Aus irgendeinem Grund hat alles perfekt funktioniert und alle waren super drauf.

Liegt das auch daran, dass es mit deinem Solo-Projekt Like Lovers nun erstmalig dein ganz eigenes Baby und somit anders als bei einem gemeinschaftlichen Bandprojekt ist?

Jan: Ja und Nein. Es hat seine Vor- und Nachteile, ein Soloprojekt zu machen. Die Vorteile liegen auf der Hand: du hast alles im Griff. Alle Entscheidungen, die getroffen werden, sind deine eigenen und das ist gleichzeitig auch ein Nachteil. Du bist nicht verpflichtet, diese Entscheidungen mit anderen gegenzuchecken. Ich mache das trotzdem die ganze Zeit, weil ich mir dann selber auch nicht so sicher bin.

Im PULS-Interview hast du gesagt, dass du nicht noch einmal ein Solo-Album machen möchtest. Ist die alleinige Entscheidungsgewalt ein Grund dafür?

Jan: Ja – im Englischen gibt es dieses schöne Wort „self-contained“. Es illustriert schön, dass alles in einer Sphäre ist. Das hat eine Abgeschlossenheit, die gleichzeitig Vorteil und Nachteil ist, weil man niemals gezwungen ist, Kompromisse zu suchen und Fehlgedanken nicht als solche erkennt. Als einzelner Mensch bist du nur in der Lage, die Dinge auch nur aus einem – nämlich aus deinem – Blickwinkel zu betrachten.

Ist die Hürde, etwas zu veröffentlichen, als Solo-Künstler größer als in einer Band?

Jan: Ja, das macht es emotional wahrscheinlich auch viel anstrengender. Wenn man zu dritt einen Song produziert und präsentiert, kann man das immer noch etwas abwälzen à la „Ich hab das mit den anderen gemacht. Ich habe zwar dazu beigetragen, aber das ist nicht die Essenz von mir.“. Bei meinem Solo-Album habe ich alles selber gemacht, es war nicht einmal jemand dabei fürs Recording und Mixing. Dadurch gibt es keine Ausrede für mich. Alles in den Songs ist wie es ist, weil ich es so gemacht habe. Klar ist es dann auch viel direkter und es kommt auch direkter zu mir zurück, wenn es kritisiert oder gelobt wird.

Dein Album ist ja glücklicherweise gut weg gekommen. Apropos Kritik: Ich bin über zwei witzige YouTube-Kommentare gestolpert: „fantastico – is this going to be the next big thing? I hope so.“ und „Ich wollte fragen, wie Sie sich erlauben können so unbekannt zu sein?!“. Wie fragil ist Lob oder Kritik für dich?

Jan: In dem Buch „Big Magic“ von der Autorin Elizabeth Gilbert geht es um den Umgang mit der eigenen Kreativität. Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem Wort Genie. Heutzutage verwendet man die Redewendung „Jemand ist ein Genie“. Das legt die ganze Verantwortung gegenüber der Genialität auf die Person selbst. Der Ursprung dieser Redewendung ist aber eigentlich „einen Genie haben“ i.S.v. Flaschengeist oder Spirit, der dir hilft. Das ist viel besser, denn es verhindert bei einem produzierten Werk, einen Höhenflug zu kriegen, denn das Lob gebührt ja nicht nur dir, auch deinem Genie. Und das gleiche gilt für Kritik: es zerstört dich nicht so sehr, weil der Genie es ja auch mit „verkackt“ hat. Das ist ein Schutzmechanismus, der dadurch verloren geht, indem man Genialität einem Individuum als Attribut zuschreibt. Und auch das findet sich in dem Gedanken wieder, gemeinsam statt alleine Musik zu machen. Wenn ich als Gruppe auf einer Bühne stehe, ist es für mich viel einfacher, mich wohl zu fühlen. Das ist auch die Erfahrung mit den vielen Solo-Konzerten, die ich jahrelang gespielt habe. Am Anfang war es für mich der blanke Horror! Ich war so aufgeregt und ich bin eigentlich im Alltag ein relativ extrovertierter und selbstbewusster Typ. Aber dann stehst du alleine auf so einer Bühne und kriegst plötzlich das Zittern und machst Fehler ohne Ende, die du vorher noch nie gemacht hast. In einer Band passiert das deutlich weniger und selbst, wenn man mal einen Fehler macht, hat man viel mehr Möglichkeiten, das als Gruppe aufzufangen.

Für die Live-Shows zu „Everything All The Time Forever“ hast du dich für eine Live-Band entschieden. Im November wart ihr auch zusammen für vier Gigs in Japan. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Jan: Es geht nur sehr schwer in ein europäisches Hirn rein, wie Japan funktioniert. Das hört sich wie eine abgedroschene Floskel an, aber man muss wirklich dort sein um zu verstehen, dass man es nicht verstehen kann. Wer den Film „Lost in Translation“ gesehen hat: ich verstehe den Film jetzt auf jeden Fall tausend Mal besser als jemals zuvor. Du kannst Sprachen, Musik und Mathematik übersetzten, aber du kannst nicht Kultur und Denkmechanismen übersetzen.

Die Tour an sich war wahnsinnig interessant. Es war ein erstes Scouten und Ausspähen dieses Territoriums. Wenn ich dort nochmal stattfinde, dann aber erst einmal in einem kleineren Set Up solo oder als Duo. Als Band ist der Aufwand surreal groß.

Es geht auf deinem Debütalbum „Everything All The Time Forever“ um nicht weniger als Gesellschafts- bzw. Konsumkritik und um Beschleunigung und den Selbstoptimierungsdrang der Menschen. Sind das Themen, die dir täglich durch den Kopf gehen?

Jan: Die Grundmetapher des Titels „Everything All The Time Forever“ ist, dass es für das, was der Mensch verstehen kann (auf inhaltlicher, emotionaler, sozialer Ebene), einen Rahmen gibt. Der ist bei manchen größer und bei manchen kleiner, aber die Gesellschaft ist global auf jeden Fall am Limit oder sogar drüber. Wir sind den ganzen Tag voll mit Gedanken und Verpflichtungen. Das Album heißt so, weil es einfach ein omnipräsentes Gefühl in meinem Leben ist. Dieses Gefühl des ganz nah an der Grenze Seins. Ich habe versucht, zusammenzufassen, wie man damit umgehen kann, aber echte Lösungen kann ich leider auch nicht bieten.

Sechs Jahre liegen zwischen deinen EPs und dem Debütalbum, das klingt erst einmal nach einem langen Zeitraum. Lag es neben der fehlenden Zeit nicht vielleicht auch daran, dass du als Produzent eventuell besonders kritisch oder perfektionistisch in Bezug auf deine eigene Musik bist?

Jan: Das ist eine interessante Frage, die ich wahrscheinlich erst nach dem nächsten Album befriedigend beantworten kann. Für das zweite Album habe ich total Bock, mir auch von anderen Leuten einige Songs für Like Lovers schreiben zu lassen. Früher hätte ich das total kritisiert und jetzt fände ich diese Möglichkeit total spannend. Jedes Mal, wenn ich mit einem anderen Künstler oder Band einen Song produziere, komme ich mir selbst wahnsinnig effektiv vor, habe immer messerscharfe Begründungen und bin auch mit Entscheidungen viel schneller. Ich glaube, es liegt an dieser Außenbetrachtung. Wenn man als Außenstehender das Zwischenergebnis betrachtet, sieht man viel eher die Fehler im Prozess. Wenn man aber selber inmitten dieses Prozesses ist, ist es sehr schwierig, zu sehen, was man falsch gemacht hat. Da braucht man einfach die Augen oder Ohren anderer. Das ist genau das, was ich meinte, wenn ich sage, ich will nie wieder ein Solo-Album machen. Ich will nicht mehr ausschließlich alleine Musik machen.

Der Albumtitel „Everything All The Time Forever“ steht seit ca. fünf Jahren und somit teilweise noch vor den Songs. Ist das nicht eher eine untypische Herangehensweise?

Jan: Wenn du dir einen Titel ausdenkst, hast du den ja nicht erarbeitet. In der Regel fällt er dir einfach ein, genauso wie ein Bandname oder eine Songidee. Wie wir Dinge nennen, hat einen sehr starken Einfluss darauf, wie wir mit Dingen umgehen. Eigentlich haben alle Sprachen verschiedene Möglichkeiten, das Glas halb voll oder halb leer zu machen. So ist es mit musikalischen Titeln auch. Wenn du respektierst, was ein Titel bedeutet, kannst du eigentlich nur etwas daraus machen, was Sinn ergibt. Beim Produzieren merke ich oft, dass wir einen Song bis zu einem gewissen Grad ausproduzieren und dann nicht weiter kommen. Dann schaut man sich noch einmal die Lyrics an und in den Lyrics steht plötzlich drin, warum der Song noch nicht so klingt wie er klingen soll: dann geht es z.B. um etwas total Weiches, Intimes und man merkt, dass man an der Stelle gerade vier Gitarrenspuren übereinander aufgenommen hat. Dann muss man vielleicht einige Spuren wieder löschen, damit es intim und weich klingt.

Tatsächlich ist es ganz oft so, dass ich einen Songtitel ganz am Anfang habe und aus ihm dann der Song wird. Es ist aber nicht immer so. Manchmal gibt es vor dem Titel schon ein Konzept, ein Gefühl, einen Sound oder Satz. Bei „I Float on Your Love“ bin ich z.B. von meiner ehemaligen Freundin in Eichstätt nach Hause gefahren. An dem Tag habe ich mich sehr positiv und stark gefühlt. Auf dem Rückweg von Eichstätt war einfach der ganze Refrain sofort vollständig in meinem Kopf da – das passiert mir sehr selten. Aus dem Auto habe ich noch einen Kumpel angerufen (es war schon sehr spät) und meinte, dass wir uns sofort im Studio treffen und aufnehmen müssen, weil es sonst nie wieder zurückkommt. Das war vor zehn Jahren und seitdem hat dieser Song ganz viele Transformationen erlebt. Er ist eine Spur kräftiger und voller geworden, aber das passt immer noch zu der Grundaussage, dass man ein bekräftigendes Gefühl aus der Beziehung zu einem anderen Menschen nehmen kann, was einen so unverwundbar fühlen lässt.

Wie läuft es heutzutage, wenn dir eine Idee kommt?

Jan: Ich finde das Klackern meiner Scheibenwischern im Regen interessant. Dann nehme ich das Geräusch mit meinem Handy auf und denke mir im Hinterkopf immer, dass ich daraus irgendwann einen geilen Beat baue. Das mache ich aber nie, weil ich es mir nicht noch einmal anhöre. Mein Handy ist voll mit irgendwelchen Sprachmemos. „Health“ ist auch im Auto entstanden, bei „Am I Still Here“ bin ich in Berlin von A nach B gelaufen. Ich erinnere mich noch ganz genau an die Stelle, an der ich dieses Intro zum ersten Mal gesungen habe. In solchen Momenten speichere ich einen Einzeiler in mein Handy. Manchmal ist die Idee kräftig genug, um lang genug in meinem Hinterkopf zu bleiben, bis ich dann irgendwann kurz Zeit habe, die Idee im Rechner zu skizzieren.

Es könnte doch aber ganz spannend sein, in alte Musikskizzen auf deinem Handy reinzustörbern. Vielleicht trägt sich eine Idee heute weiter, die es damals nicht geschafft hat?

Jan: Ja, aber das geht nicht nebenbei, du brauchst immer diesen Anfangsenthusiasmus. Das ist wie das Verliebtsein: dann ist die Partnerin am Anfang ja die Schönste, es gibt niemanden, der schöner ist. Und wenn die musikalische Idee frisch ist, ist es ganz genauso. Aber wenn man es nicht sofort umsetzt, verfliegt das Gefühl schnell wieder.

Ich finde die Metapher schön, dass man in seine eigenen Songs verliebt ist – irgendwann kann man die Gefühle ja aber auch wieder verlieren. Bist du auf der Halbzeit deiner Tour noch verliebt in deine Songs?

Jan: Ich habe jetzt noch das Gefühl, dass meine Beziehung zu diesen Songs gereift und erwachsener geworden ist.

Du reagierst fleißig auf Kommentare deiner Fans – das fand ich sehr schön, es nimmt aber sicherlich auch viel Zeit in Anspruch. Wie wichtig ist dir die Nähe zu deinen Fans?

Jan: Das ist ein sehr frustrierendes Thema. Am liebsten würde ich mich mit allen unterhalten und ich habe auch zu sehr vielen Fans eine persönliche Beziehung. Auf meiner Support-Tour für The Intersphere im letzten Jahr hatte ich kein Merch dabei, weil es alles etwas knapp war und ich auf ihrer Tour auch keine Musik verkaufen wollte. Ich wollte trotzdem irgendwie in Erinnerung bleiben. Ich habe eine Vorab-Single vom Album als Download-Code auf Postkarten dabei gehabt, die bereits an mich adressiert und frankiert waren. Man konnte sich einfach die Postkarte auf der Show mitnehmen, sich den Song runterladen und anhören und mir dann eine Postkarte zurück schreiben. Da sind ca. 100 Postkarten zurückgekommen. Und alle haben einen Brief von mir zurückbekommen. Ich sag es dir, 100 Postkarten zu beantworten, dauert viel länger als man denkt! Ich habe sie alle noch. Aus München kam z.B. Post mit zwei vollgeschriebenen DIN A4-Seiten zu meinem Album und geziechneten Bildern, die die Leute beim Hören des Albums sehen. Wenn ich so etwas unbeantwortet lassen würde, würde ich mich schlecht fühlen. Das ist ja aber auch genau das, was man gerne haben möchte: dass sich die Leute reingefühlt haben und man merkt, dass man einen Beitrag leistet. Deswegen habe ich eine enge Verbindung zu den Leuten, die meine Musik genießen und beantworte eigentlich alle Nachrichten in den meisten Fällen persönlich, auch wenn es manchmal etwas länger dauert. Es ist total schön, aber es wird immer begleitet von diesem Schatten, dass man nicht mehr genug Lebenszeit dafür haben wird, wenn das Projekt wächst.

Es wird auch weiterhin solche Aktionen geben, die die Limitierung unserer Zeit aufzeigen. Auch in dem Video zu „Fall“, das man sich erst nur zwischen Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang ansehen konnte, ging es darum, den Leuten im Internet nicht alles so einfach zu machen. Auf meiner Website sind teilweise kleine Bubbles, die über dem Text hängen und total unpraktisch sind; an denen man vorbei scrollen oder das Fenster kleiner machen muss, um den Text lesen zu können. Nur, wenn es Hindernisse gibt, kann man sich auch wirklich damit beschäftigen. Ich mag den Gedanken, dass man mit Dingen aktiv interagieren muss.

Ihr wollt am 30. Januar beim Like Lovers-Konzert im Stereo Nürnberg dabei sein?
HDIYL verlost 2×2 Gästelistenplätze. Schreibt uns dafür über unsere Facebook-Seite oder per Mail an sarah[at]hdiyl.de mit dem Betreff „Like Lovers“.

Like Lovers im Netz:
Website
Facebook
Instagram

Like Lovers in Echt:
28. Januar – Darmstadt, Schlosskeller
29. Januar – Stuttgart, Juha-West
30. Januar – Nürnberg, Stereo
31. Januar – Göttingen, Nörgelbuff
01. Februar – Celle, MS Loretta
03. Februar – Würzburg, Cairo
04. Februar – Mainz, Schon Schön

// Text: Sarah Grodd //
// Bild: Melanie Schösser //