Nachbericht: Nürnberg.Pop 2019
Man könnte sagen: Die einzigen, die bei Nürnberg.Pop fein raus sind, sind die drei Verantwortlichen. David Lodhi, Thomas Eckert und Thomas Wurm haben schließlich all ihre Musiktrüffel schon ge- und dann für gut befunden, sich die Kneipen, Säle, Clubs wohl schon mal eingehend angeschaut – und hatten dafür reichlich Zeit. Alle anderen sind: gestresst.
Denn im Line-Up befinden sich nur scheinbar Verschnaufspausen. In Wahrheit tummeln sich allein am Freitag auf nicht mal sechs Stunden 26 Konzerte an zehn Spielstätten. Und wer das ganz schön sportlich findet, der findet eine Steigerung: 57 Programmpunkte an 22 Orten hat der Samstag allein im Abendprogramm in petto. Das Triumvirat lächelt milde: „Schon mal beim Reeperbahnfestival gewesen? Nein?“ Nürnberg in your face! Hat uns die Presse nicht vor Jahren schon als „Süddeutschlands größtes Clubfestival“ betitelt? Dann legen wir jetzt halt noch zwei bis fünfzehn Schippen drauf, machen erst Kulturwoche und uns die ganze Stadt zur Popfamilie, laden Speaker, Profis, Wissenschaftler ein, kultur- und sozialpolitisch relevante Themen zu durchleuchten, bieten Fortbildung an und Workshops und vernetzen wie der Teufel, und weil sich keine andere Zahl so schön anbietet für ein Facelift, feiern wir das Fest halt, wie es fällt: in „neun“ steckt „neu“ – in Nürnberg.Pop erstmals die Wucht und Liebe eines ganzen Wochenendes.
Zwei Tage statt bislang einem, das musst du dich erstmal trauen. Und das in einer Stadt, bei der „Mut“ nicht richtig groß, „Bedenkenträger“ aber schon zum Frühstück buchstabiert wird. Aber sie haben sich schon so oft getraut, es ist noch immer gut gegangen, haben sich 2011 schon in die Hosen gemacht, kann das klappen, 18 Bands und acht Spielorte? und lachen heut vermutlich laut. Genau, lachen: Macht der geneigte Kultur- und Musikinteressierte am besten auch beim Versuch, sich den Abend vorzustrukturieren. Zettel weg und losmarschiert, erfreulich wenig Regen, der verdrießliche Gesichter malt, und dann mal schauen, wohin die Reise geht. In Richtung ernsthafte Politik beispielsweise. Was erst vor kurzem mal so ausprobiert wurde, ist zu einem ernstzunehmenden Format angeschwollen: Die „Nürnberg.Pop Konferenz“ setzt sich an beiden Tagen mit rechtem Gedankengut in der deutschsprachigen Musiklandschaft auseinander, bietet sorgfältige statistische Aufbereitung von Expertinnen, Workshops zum Zurechtfinden im Behördendschungel der Veranstaltungswelt, zeigt politisch Kante von und für die Subkultur, bietet Speeddating und Netzwerkplattformen und auch solche, in denen Politiker und Kulturtreibende aus ganz Deutschland Rede und Antwort stehen müssen zum Nachtbürgermeister oder dazu, ob Fußball Popkultur ist, und zeigt im schönen Bündel, wie vielschichtig und vor allem mit welcher Ernsthaftigkeit diese bunte Landschaft fernab von roten Teppichen und Prestige gedüngt, gepflegt, beackert wird – und dass die Zeit des stillen Leidens der Subkultur bald vorbei sein könnte.
Still geht’s im Anschluss gar nicht weiter, sondern direkt in die Startlöcher der musikalischen Bandbreite des Festivals, das von Chanson Pop eines Tristan Busch über den Kuschelhiphop von Koala Kaladevi bis zum Glückspunk der lokalen Akne Kid Joe geht, das mit großen Namen wie Roosevelt genau so glänzen kann wie leider zu wenig Wagemutige in den Katharinensaal locken, in dem mit der ungooglebaren serbischen Formation Lorens doppelt debütiert wird – zweimal Zugewinn, dem K4-Umbau sei Dank, denn auch der Heilig-Geist-Saal hat sich vom Schreck des letzten Jahrs erholt und öffnet bereitwillig die Tore, um von Blackout Problems mit geschmeidigen Klängen und Flagge gegen Rechts auch noch das letzte Jota Frischluft hinausdrücken zu lassen Ob’s der Zweitägigkeit gedankt oder vorgeworfen werden kann, ist Ansichtssache, doch es flaniert sich auffallend licht im Dunkel: Von Schlangen, Staus, Tumulten keine Spur, stattdessen füttern die Popper fleißig ihre Schrittzähler, kreuzen als emsige Entdeckerschifflein durchs innerstädtische Abendgequirl und finden sich in erfreut inmitten einer OpenAir-Disko wieder, die sich freundlich blinkend an die Stadtmauer schmiegt und unterm Zeltdach durstige Menschen und kopfsteinpflasterwummernde Bässe beherbergt. O schön, ein neuer Festival-Spot, so laut und draußen zu so später Stunde? Ach nein, nur die Eröffungsfete der Kunsthalle, städtisch müsste man halt sein. Weitestgehend ungefördert ameisen sich LodhiEckertWurm durch den Betrieb, der mit „Startschuss“ eine Bavarian-Talents-Förderinitiative gegründet und den geförderten die Bühne gleich mitgibt, der sich ein bisschen abgewendet hat vom Bäckerei-und-Jeansladen-Format hin zur Erschließung neuer Orte, die der Mensch sonst kaum entdecken würde und die Musik ihn aber zwingt, ins Korn’s hinein oder die Wacht am Rhein, der aber nach wie vor die Kirchen, Museumskeller, Hotelfoyers und Klitschen mit Klangteppichen auskleidet, in die die Leute sich sinken lassen und vielleicht hier und da ein Stückchen stibitzen und darauf nach Hause reiten. Nächstes Jahr dann #10. Vermutlich wissen sie schon, wie gefeiert wird. Und freuen sich schonmal. So sei es.
// Text & Fotos: Katharina Wasmeier //