Meinung

Nur so eine Theorie: Wie Nürnberg Kulturhauptstadt hätte werden können

Nur so eine Theorie…

„So will Nürnberg Künstlern durch die Corona-Krise helfen“ titelte nordbayern.de am 10. April (https://www.nordbayern.de/kultur/so-will-nurnberg-kunstlern-durch-die-corona-krise-helfen-1.10015480). Der Inhalt des Berichtes: Auf Initiative des Kulturreferats der Stadt Nürnberg hin gibt es nun ein „Bündnis für Kultur. Damit soll existentiell bedrohten Kunst- und Kulturschaffenden finanzielle Unterstützung zukommen.

Auf der www.nuernberg.de findet man weiterführend das hier: https://www.nuernberg.de/internet/kulturreferat/buendnis_fuer_kultur.html
Das Kulturreferat hat initiiert, während das finanzielle Fundament von der Sparkasse Nürnberg kommt: 25´000 Euro.

Und es gibt einen Spendenaufruf (siehe https://www.gut-fuer-nuernberg.de/projects/78958). Stand 14.04.2020, 12:52 werden weitere 9´999,- Euro benötigt, um die Kultur zu retten, von denen noch 3´660 fehlen. Stellt man einen Antrag auf Unterstützung, können maximal 1000,- gewährt werden. Ein „unabhängiges Beratungsgremium“ trifft die Entscheidung über die Höhe der Unterstützung „je nach Einzelfall“ und „abhängig von den zur Verfügung stehenden Mitteln“.

Das lassen wir einfach mal so stehen.

Anfang Mai wäre Blaue Nacht gewesen. Mit durchschnittlich 130´000 Besucher*innen gilt sie laut Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Blaue_Nacht) als „die größte Kultur- und Museennacht in Deutschland“. Von diesen 130´000 Besucher*innen zahlt aber nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil Eintritt für Dinge, die drinnen stattfinden. Die meisten dieser Besucher*innen flanieren umsonst und draußen durch die Nürnberger Altstadt. Ab und zu gibt es mal eine Installation, Kunstperformance oder – als eine der Hauptattraktionen – die illuminierte Nürnberger Burg zu sehen. Wäre mal interessant, zu hinterfragen, wie in diesem Zusammenhang die Zahl 130´000 entstanden ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Blaue Nacht kostet Geld. Es werden Tickets verkauft. Es gibt Sponsoren wie – laut https://blauenacht.nuernberg.de/ – die Deutsche Bank, die Nürnberger Versicherung oder die N-ERGIE. Und es gibt einen Zuschuss aus dem jährlichen Kulturhaushalt der Stadt.

Die Blaue Nacht 2020 fällt aus beziehungsweise wird auf 2021 verschoben. Für 2021 gibt es einen neuen Kulturhaushalt und damit ein neues Budget.

Jetzt gehen wir mal davon aus, dass dieses Budget aufgrund der aktuellen Situation kleiner sein wird als bisher. Also könnte es wichtig sein, sich eine Reserve zuzulegen aus dem diesjährigen Budget. Unter Umständen gibt es ein paar Ego-Projekte – Dinge, die man einfach mal hinstellen mag. Auch die kosten Geld. Der eine oder andere Sponsor könnte abgesagt haben oder sein Geld zurück wollen. (Es sei an dieser Stelle eingeworfen, dass es von echter Größe zeugen würde, in Gespräche mit den Sponsoren zu gehen, um zu versuchen, sie dazu zu bewegen, die Sponsoringsumme oder einen Teil dieser als zusätzliche Unterstützung für Kulturschaffende und Künstler*innen zu spenden.) Und vielleicht gibt es noch die eine oder andere unbezahlte Rechnung aus dem Vorjahr oder Rechnungen aus dem laufenden Jahr, die trotz allem beglichen werden müssen.

Aber es könnte nach Abzug aller Eventualitäten und Egomanien Geld übrig bleiben.

Im Juli waren insgesamt (inklusive einem Familienkonzert) vier Klassik Open Airs angesetzt. Ende Juli wäre Bardentreffen gewesen. Alles Großveranstaltungen bei freiem Eintritt. Auf der Website https://klassikopenair.nuernberg.de/ steht zur zusätzlichen Vorstellung mit den Bamberger Symphonikern am 11. Juli: Nürnberg bewirbt sich als Kulturhauptstadt Europas 2025. Das Projektbüro im Kulturreferat der Stadt Nürnberg nimmt dies zum Anlass, einmal das Vorzeigeorchester der Metropolregion Nürnberg zu einem Klassik Open Air EXTRA in den Luitpoldhain einzuladen: die Bamberger Symphoniker.

Inhaltlich lassen wir auch das mal so stehen. Aber auch die Klassik Open Airs und das Bardentreffen kosten Geld. Geld das heuer nicht ausgegeben wird und somit da ist. 2021 gibt es ein neues Budget.

Auch hier ziehen wir Reserven und großzügige Specials ab. Es wird Geld übrig bleiben. Schätzungsweise viel Geld.

Nun könnten sich die Stadt Nürnberg, ihr Kulturreferat und das angebundene Projektbüro als wahre Helden beweisen.

Sind wir mal ehrlich: Ein ziemlich mächtiger Teil des kulturellen Angebots in Nürnberg wird von der Stadt selbst gemacht oder zumindest mitfinanziert. Städtisch subventionierte Einrichtungen, wie der Z-Bau, der MUZ-Club oder die Desi werden aber früher oder später genauso zusammenbrechen unter dem was gerade passiert, wie freie Wettbewerber, von denen es mit dem Hirsch (Concertbüro Franken) und dem Club Stereo gerade mal zwei gibt. Und da sind wir noch gar nicht bei den vielen Bars, Restaurants oder Diskotheken angekommen, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Austausch leisten.

Der Vorteil, wenn man subventioniert ist, scheint in diesen Zeiten vor allem die Fortzahlung von Miete und Gehalts der Festangestellten zu sein. Aber was ist mit den Selbstständigen und Minijobbern, die alle keinen Job mehr haben? Putztrupps, Handwerker, Security, Garderobenleute, Kassenleute, Grafiker, Plakatierer, Techniker, Thekenleute, …

Ist man nicht subventioniert, muss man Ersparnisse haben, um zu überleben. Crowdfunding und / oder staatliche Unterstützung schauen manches Mal nicht schlecht aus (siehe z.B. http://hdiyl.de/liebe-in-zeiten-der-corona/) – aber nur auf den ersten Blick. Da muss man nur mal den Taschenrechner nehmen und überlegen, was das alles kostet.

Haben wir die Künstler*innen eigentlich schon erwähnt? Wie viele Künstler*innen leben und arbeiten in Nürnberg? Laut ihrem Hilfsprogramm schätzt die Stadt selbst die Anzahl als sehr gering ein. Sonst wäre man nicht auf solche Beträge gekommen.

Kommen wir zum Punkt. So schnell, wie alles runtergefahren wurde, muss nun unterstützt werden, damit alles überlebt. Gelder, die aufgrund von entfallenen städtischen Großveranstaltungen vorhanden sind, sollten ab sofort dafür verwendet werden, dem kulturellen Ist-Status in Nürnberg samt vollständiger Peripherie beim Überleben zu helfen. Es sollte genug da sein, damit auf diese Art und Weise jeder überleben kann. Und ganz ehrlich: Sollte das Geld nicht reichen, könnte man sogar mal überlegen, auch 2021 auf die eine oder andere hauseigene Großveranstaltung zu verzichten zugunsten einer kulturellen Vielfalt, die jetzt schon nicht in allen Facetten vorhanden und teils unterdrückt ist aber immerhin existiert. Denn um Kulturhauptstadt zu werden, braucht diese Stadt die kulturelle Vielfalt.

Aber hey, nur so eine Theorie…

p.s.: Hier noch ein Beitrag von Holger Watzka vom Erlanger Kulturzentrum E-Werk, mit dem er einen Facebookpost unserer Kulturreferentin Prof. Dr. Julia Lehner kommentiert hat: „Das ist nicht Ihr Ernst oder? Die Stadt Nürnberg holt sich 25.000 Euro bei der Sparkasse ab und ruft die Bürger*innen für Spenden für die Kulturschaffenden der Stadt auf? Was ist das für eine Wertschätzung von Seiten der Stadt, die sich als Kulturhauptstadt bewirbt? Die Stadt packt kein eigenes Geld in diesen Topf???
Ich finde das wirklich erbärmlich. Was soll da an Geld zusammenkommen, wenn die 25.000 Euro der Sparkasse noch nicht mal für 40 Künstler*innen reichen, die dann zwischen 500 und 1000 Euro bekommen? Und gleichzeitig Verdienstausfälle, Gagenausfälle von voraussichtlich 4 Monaten verkraften müssen? Andere Städte wie Köln oder Leipzig schätzen die Lage der Selbstständigen in der Kultur und der Künstler*innen wesentlich realistischer ein und bringen richtige Rettungsschirme an den Start.
Ich zitiere den OB aus Leipzig aus einem Statement gestern:
„Wir sind in der Tat zu der Überzeugung gekommen, für Soloselbstständige, für den Künstler, den Schauspieler, den Fotografen, den Veranstaltungstechniker, den Sänger, den Musiker, wird nur unzureichend geholfen. (…) Ich möchte nächste Woche, das ist vielleicht die schöne Botschaft zu Ostern, ein Hilfsprogramm der Stadt Leipzig auf den Weg schicken, wo wir einen Zuschuss geben für den Lebensunterhalt des Soloselbstständigen. (…) Wir diskutieren eine Soforthilfe, unter der Maßgabe, dass man nicht zur Agentur für Arbeit geht und sich arbeitslos meldet, von 1.500 bis 2.000 €.“

How Deep Is Your Love