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Die versuchte Abschiebung des Asef N. – ein Augenzeugenbericht

Wie Ihr sicher alle mitbekommen habt, sollte am 31.Mai ein junger Afghane aus Nürnberg in seine „sichere“ Heimat abgeschoben werden. Der Protest seiner Mitschüler ging durch die Presse, viele Menschen zeigten sich solidarisch und die Kritik gegenüber der aktuellen Abschiebepraxis wurde lauter.

Mittlerweile ist der Medientrubel zwar etwas abgeebbt, aber das Thema ist weiterhin allgegenwärtig. Bei Rock im Park zeigten sich Feine Sahne Fischfilet mit den Berufsschülern solidarisch und lobten deren Einsatz.

Auch wir haben lange überlegt, ob wir dieses Thema aufgreifen sollen. Die Entscheidung wurde uns jedoch durch den Bericht eines Bekannten vorweggenommen. Er war vor Ort und konnte deshalb einen Augenzeugenbericht liefern. Seinen Namen wollen wir hier nicht veröffentlichen, wir können Euch nur versichern, dass wir uns diesen Bericht zu 100% nicht ausgedacht haben.

Lest es euch durch und denkt einfach mal drüber nach.

Ich war an dem Tag in der Schule. Um 9 hatten wir eine Raucherpause und ich und ein paar Leute aus der Klasse standen vor der Tür. Da bekam ein Klassenkamerad, der in der Roja („Revolutionär organisierte Jugendaktion“, Anm. d. Red.) aktiv ist eine SMS. Er erklärte mir und den Umstehenden, dass wohl ein Freund von ihm aus der B11, oder ein Freund des SMS Verfassers gerade einen spontanen Sitzstreik startet, da die Polizei einen Mitschüler aus dem Klassenzimmer abgeführt hatten, um ihn spontan nach Afghanistan abzuschieben. Die Kernaussage der SMS, so wie sie mir mitgeteilt wurde, glich einem Hilferuf.
„Brauchen dringend Unterstützung, sonst werden wir überrannt.“

Es war klar, dass wir, ein paar Gostenhofer Jungs, die bekannterweise politisch aktiv sind, aus meiner und der Parallelklasse, und ich, egal wie, den Unterricht verlassen werden, um dort hinzufahren. Dennoch meinte ich, dass wir der Schulleitung Bescheid geben müssen. Die Rektorin hatte aber nichts einzuwenden. Wir sollten lediglich eine Liste mit allen Namen derer, die zur Demo gehen, abgeben. Als sich in der Klassen herumsprach, was gerade vorgeht, schlossen sich sehr schnell viele Mitschüler an und wir machten uns sehr hektisch auf den Weg zur U-Bahn. Zwei Mitschüler fuhren mit dem Fahrrad voran. Als wir in der U-Bahn waren, gab einer der Mitschüler, der bereits mit den Leuten (der Roja) vor Ort in Kontakt stand Bescheid, dass unsere Gruppe von der U-Bahn-Haltestelle abgeholt werden sollte. Wurde gemacht. Wir trafen vor der B11 ein und das erste dass ich sah, war ein unter einem Baum zusammengesackter junger Mann, von Polizei umstellt, und ein Mädchen, dass unter Tränen versuchte, den Polizisten klar zu machen, dass niemand Widerstand leistet und sie ihren Freund nur bitte vom Platz bringen wolle.

In der Mitte des Geschehens der Sitzstreik vor dem Polizeiauto und in der ersten Reihe die beiden Mitschüler, die mit dem Fahrrad voran gefahren waren (Beides auch gute Freunde von mir). Alle mit den Armen ineinander gehakt. Der eine meiner Freunde saß unmittelbar am Rand und 3 Polizisten um ihn rum. Tretend, zerrend und schlagend versuchten sie ihn aus der Kette zu lösen. Dennoch war die Situation nach dem ersten Schock noch vergleichsweise entspannt. Ich lief ein paar Schritte zurück, um mir einen Überblick zu verschaffen, hilflos am überlegen, wie ich helfen könnte. Da ich schon auf einigen Demos war, fiehl mir auf, dass die meisten der „Demonstranten“, so wie die meisten der Leute von meiner Schule, keine Linksaktivisten in irgendeiner Form waren, sondern junge Schüler. Mein subjektiver Eindruck war, dass es vor allem junge Mädchen waren. Sie standen in einigem Abstand zu dem Kerngeschehen, beobachteten, waren aber genauso planlos wie ich, was man tun könnte. Viel mehr noch hatten sie offensichtlich Angst sich näher ran zu wagen.

Nach dem ersten gegebenen Eindruck verständlich. Plötzlich spannte sich die Situation merklich an und um das Auto, in dem der Abzuschiebende saß, formierten sich die Polizisten. Irgendwo im Getümmel war zu sehen, wie sie das Fahrzeug mit ihm wechselten. Die Polizisten bildeten Ketten über den Platz und trieben die Herumstehenden mit zunehmendem Tempo zurück, um Platz für das Auto zu schaffen. Die Schüler wichen nach Möglichkeit in alle Richtungen aus, aber die meisten, mich in vorderster Reihe eingeschlossen, wichen unsicher zurück. Ich bereitete mich darauf vor, Stöße oder Schläge mit dem Schlagstock einzustecken. Doch schien es, als ob die Polizisten,solang ich noch eine Armlänge entfernt war, kein Interesse daran zu haben, sich mit einem 1,90m großen 24 Jährigen anzulegen. Jedoch lief ca. 2 Meter rechts von mir ein junges Mädchen rückwärts, die von einem Polizisten in voller Einsatzkleidung mit solcher Wucht geschubst wurde, dass es sie nach hinten von den Füßen riss. Zum Glück wurde sie sofort wieder hochgezogen. Ein paar versuchten als Protest sich spontan hinzusetzen, wurden aber sofort mit Schlägen und Schubser zurück an die Front befördert.

Neben mir sah ich ein Mädchen am Boden liegen, ein Hundeführer vor ihr und ein von Sinnen kläffender, riesiger Schäferhund auf ihr. Ich und ein oder zwei weitere reagierten in ihre Richtung, wurden aber von 3 weiteren Polizisten abgeblockt. Wir versuchten mit den Polizisten zu verhandeln, um das Mädchen wieder in unsere Reihen zu ziehen, wurden aber ignoriert. Das Mädchen schrie und heulte völlig panisch unter dem Hund. Objektiv kann man wohl sagen, dass der Hund einen Maulkorb hatte, aber die verzweifelten Schreie des Mädchens waren das Schlimmste, dass ich mir vorstellen kann.
Allein über diese Erinnerung zu schreiben, treibt mir gerade die Tränen in die Augen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, es muss sich tatsächlich um einige Minuten gehandelt haben, zog der Hundeführer seinen Hund zurück und das Mädchen konnte zurückgezogen werden. Das Polizeiauto mit dem Afghanen zog nun an uns vorbei und die meisten rannten los, in der Hoffnung, das Auto noch abfangen zu können, aber es war natürlich zu spät. Das Auto raste die Straße runter. Der Hass stand uns allen im Gesicht.
Die Polizeiformation löste sich. Wir drehten uns in Richtung der Polizisten, die nun ihrerseits zum Ausgangspunkt zurückwichen, jedoch merklich ohne eine Spur von Angst oder Anspannung, vielmehr war eine gewisse Selbstzufriedenheit in den Gesichtern der Polizisten zu sehen. Wir alle stimmten ein lautes „Mörder,Mörder“ -Geschrei an und folgten der Polizei zurück auf den Platz. Eine 0,5-PET-Wasserflasche flog über mir vorbei, verfehlte allerdings bei Weitem jegliches Ziel. Ein wenig später wurde mir eine Weitere gegen den Rücken geworfen, ohne jede Kraft, aber mein Rücken wurde nass.

Ein Polizist vor mir stolperte über ein, an einer Laterne angesperrtes Fahrrad. Ein Junge neben mir rief „Hey, willst du das da so liegen lassen?“ ich rief „Ist das nicht Sachbeschädigung, oder so?“ Zurück auf dem Platz formierte sich die Polizei wieder. Sperrte den Platz und kesselte die Demonstranten ein. Die Stimmung entspannte sich sehr schnell wieder, die meisten standen ratlos rum, ein paar stellten sich vor die Polizeikette, verfluchten die Unmenschlichkeit, die sie soeben bezeugt hatten und einige bekamen prompt eine Ladung Pfefferspray dafür. Ich lief zu einem, dessen Pfefferspraybombe ich gesehen hatte, und wollte helfen. Mir fiel allerdings nicht mehr ein, als ihm zu raten, sich die Stirn abzuwischen, aber nicht mit Wasser zu spülen. Er schien allerdings ziemlich gefasst, vielleicht ein bisschen verwirrt. Eine Gruppe meiner Klasse kam zu mir und fragte, was als Nächstes passiert. Also suchte ich den Jungen aus der Parallelklasse, der zu Beginn schon für die Vernetzung gesorgt hatte. Er meinte ein paar der Leute werden wohl eine Spontandemo anmelden und wir sollen erstmal warten.

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Nach langem Warten in der Mittagssonne kam nach etwa 20 Minuten die Bestätigung, dass die Demo genehmigt ist. Doch als sich alle auf den Weg der geplanten Route entlang der Bayreuther Straße machen wollten, wurde die Strasse schlagartig von links und rechts herbeieilenden Einsatzkräften blockiert. Das musste der Einsatzleiter vor Ort natürlich noch überprüfen. Ein Anruf von einer Minute. Also mussten wir nochmal 20 Minuten warten. Endlich ging die Demo los. Angeführt von einem Einsatzwagen der Polizei mit Kameramann und ein paar Polizisten, die sich laut über die sinnlosen Mühen der mittlerweile stark reduzierten Demonstranten amüsierten. Die dagebliebenen Jugendlichen aber schrien ihre „Kein Mensch ist illegal..“-Parolen mit vollem Einsatz.

Meistens aber war die vordere und hintere Hälfte nicht synchron. Da merkte ich wieder, dass es sich bei den Demonstranten zum größten Teil nicht um eingeübte Links-Aktivisten handelte, sondern um Schüler, die Solidarität zeigten. Die Demo endete vor der Ausländerbehörde in einer engen Straße, die die Polizisten sofort absperrten. Etwa zu dieser Zeit kam die Meldung über den Anschlag im geplanten Reiseziel des Abschiebungsflugzeugs. Also standen alle da und forderten den verantwortlichen Beamten mit lautem Rufen dazu auf, mit einer Gruppe aus Vertretern, unter anderem der Klassenlehrer des Berufsschülers, in Kontakt zu treten und eine Stellungnahme abzugeben.
Nach einiger Zeit wurde die Gruppe ins Gebäude der Behörde gebracht und weitere 20 Minuten später wurde verkündet, dass die Abschiebung vorläufig nicht stattfindet. Einer der Schüler meiner Klasse verkündete laut, dass dies gezeigt habe, dass unsere Mühen tatsächlich Wirkung zeigen. Ein Polizist hinter ihm lachte hämisch. Die Demo wurde langsam beendet und die Leute verteilten sich.

Wir hoffen, dass bei weiteren Aktionen dieser Art die Solidarität gegenüber den Geflüchteten nicht schwindet und dass die Bundesregierung noch einmal darüber nachdenkt, ob Länder in denen bei Bombenanschlägen auf einen Schlag 80 Menschen sterben, tatsächlich sichere Herkunftsländer sind.

//Protokoll: Simon Strauß
//Bilder: Kay Øzdemir

[Dieses Protokoll ist ein Augenzeugenbericht und gibt nicht die Meinung von HDIYL wieder]